Mitgetrommelt - Schachfreunde Neukölln bieten weiterhin Paroli bei der Vereins-EM

von am 26. September 2001 in ECC 2001, Europapokal

Mitgetrommelt - Schachfreunde Neukölln bieten weiterhin Paroli bei der Vereins-EM

Der Werbespot des endlos trommelnden rosa Duracell-Plüsch­hasen symbo­li­siert konstante Leistungs­fä­higkeit. Diese Assoziation kam dem Team der Schach­freunde als Vergleich in den Sinn, als sie vernahmen, dass in der fünften Runde der Europäi­schen Meister­schaft für Vereins­mann­schaften der mazedo­nische Gegner von „Alkaloid“ - mutmasslich ein Unter­nehmen der Batte­ri­en­pro­duktion - auf dem Programm stand. Die Spieler von Balkan gelten als ausdau­ernde Truppe, die häufig gewillt ist, Partien bis zur Neige auszu­kämpfen - Zocker­qua­li­täten einge­schlossen. Am Vortag hatten es die Ungarn von Csuti Antal um die Großmeister Lajos Portisch und Attila Grosz­peter zu spüren bekommen, als sie mit 5:1 das Nachsehen hatten. Da die Mannen aus der früheren jugosla­wi­schen Republik konti­nu­ierlich in identi­scher Besetzung mit drei Großmeistern, zwei Inter­na­tio­nalen Meistern und einem Fide-Meister antreten, gestaltete sich die Vorbe­reitung nicht zu kompli­ziert. Trotz eines schlech­teren Elo-Durch­schnitt um 22 Punkte war der Tenor, dass wir durchaus mithalten können und der Ausgang völlig offen sei.

Blickte man nach einer Stunde auf die Bretter bestä­tigte sich diese Prognose nicht unbedingt. Vorne bekam ein husten­ge­plagter Stephan Berndt nicht den erwar­teten Sizilianer, hinten parkte Henrik Rudolf bereits einen Bauern ein. Der Rest war unklar, wobei Dirk Poldauf von einem gegen ihn bislang wenig gespielten Königs­inder mit vier Bauern­phalanx im Zentrum überrascht wurde. Ganz auf aktives Spiel orien­tiert verfiel er nach eigenen Angaben in eine „Kinder­krankheit“, in dem er mit g5 den Läufer auf h4 befragte, auf den weißen Feldern Schwächen schuf und seine Figuren am Damen­flügel unent­wi­ckelt ließ. Diese Faktoren reichten Orce Dancevski bereits aus, um mit der Dame ungehindert auf h5 zu infil­trieren und den Läufer auf e3 ideal für die finale Zertrüm­merung des Bauern­schutz­schild um den König aufzu­stellen. Der Springer von b8, der überle­bens­not­wendige Vertei­diger, schaffte in allen Varianten nicht mehr den Sprung nach f6. Vielmehr war es Dirk als Schwarz­spieler, der seinem Gegenüber in der Analyse die letzten takti­schen Feinheiten der Gewinn­führung offen legte. Ein Bravo auf den sich mehr und mehr zu Taktiker outenden Schach­freund, aber in der nächsten Runde wieder auf der richtigen Seite.

Doch dem Team musste nicht Bange werden. Den Rückstand nach drei Stunden glich am Spitzen­brett Stephan Berndt zwanzig Minuten später postwendend aus. Alles funktio­nierte für Weiß perfekt gegen die scheinbar solide sizilia­nische Struktur in der Sozin-Variante: große Rochade, Türme auf der d- und e-Linie, Bauern­sturm am Königs­flügel, Sprin­ger­opfer auf e6 und Läufer­paar­do­minanz von d3 und e3 gegen den Königs­flügel. Mattführung im klassi­schen Sinne und Aussichten auf einen offenen Ausgang des Mannschafts­matches. Noch vor der Zeitkon­trolle nahm Martin Borriss trotz Mehrbauern Remis in komplexer Position an, denn unser bester Punkte­sammler, Lars Thiede zauberte bereits gegen Alexander Colovic. Da dieser ähnliche Eröff­nungs­systeme wie der Berliner spielt, waren wir uns nicht sicher, welche Strategie er wählen würde. In der Stunde vor der Zeitkon­trolle waren solche Überle­gungen bereits ad acta gelegt, denn Lars hatte einen Bauern auf f7 einge­pflanzt, hinter dem der schwarze König einge­klemmt auf seine Hinrichtung warten musste - alle weißen Figuren kontrol­lierten Linien und Diago­nalen. Selbst ein Figuren­opfer, welches dem Gegner ein verbun­denes Freibau­ernpaar auf d4 und e4 verschaffte, erwies sich als verspätet. Wir hatten die Führung erkämpft, wussten aber, dass Henrik auf verlo­renem Posten stand.

Zwanzig Minuten nach der Zeitkon­trolle stellte er den Wider­stand ein, womit alles vom Ausgang der Partie zwischen Rainer Polzin und Großmeister Dragoljub Jacimovic abhing. Wie sich post-mortem heraus­stellte, verpasste Rainer in gegne­ri­scher Zeitnot, noch inten­siver zu kalku­lieren. Ein Opfer Turm gegen zwei Leicht­fi­guren hätte im königs­in­di­schen Stellungstyp deutlichen Vorteil ergeben. Doch so musste unser „Mann für die langen Sitzungen“ weiterhin vor den giftigen Mattdro­hungen auf der Hut sein. Als er diese mit einem Turmma­növer beseitigt hatte und sich die Stellung durch Abtausch weiterer Bauern mehr und mehr verein­fachte, bot er völlig korrekt Remis an. Aber der mazedo­nische Großmeister mit reichlich Goldschmuck und Sonnen­brille im lockigen schwarzen Haar bestä­tigte unsere ursprüng­liche Vermutung, dass heuer alles gezeigt werden muss - es könnte ja noch eine trick­reiche Wendung oder eine Konzen­tra­ti­ons­nach­läs­sigkeit passieren. Doch gegen einen Vollju­risten ist die Sache nicht so einfach. Rainer reduzierte unter Hergabe der Qualität die weißen Bauern auf Null. Die Lehrbuch­stellung Turm gegen Läufer mit König in der richtigen Ecke bot keinen Grund zu Klage. Nach sechs­einhalb Stunden wurde das Verfahren einge­stellt - der Mannschafts­kampf endete friedlich-schiedlich 3:3. Kein schlechtes Resultat, wenngleich unter Umständen ein Gewinn in Reich­weite war.

Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Begeg­nungen der drei israe­li­schen Team noch in vollem Gang. Wegen des Yom-Kippur-Feiertag begannen den Ausein­an­der­set­zungen erst um 18 Uhr. Ansonsten war es der Tag der entschie­denen Matches. Norilsky Nikel bezwang Werder Bremen glatt mit 4,5:1,5. Die Hanse­städter hatten am Vortag Glück gehabt, als Steffen Pedersen mit Mehrläufer und Mehrbauer keine Nerven hatte, Yannik Pelletier zu besiegen und das 3:3 perfekt zu machen. Gegen die noch verlust­punkt­freien Russen erzielten Zbynek Hracek, Lars Schan­dorff und Sven Joachim jeweils halbe Punkte. Auf Verfol­gerkurs bleibt St. Petersburg, da Gazovik knapp mit 3,5:2,5 besiegt wurde. Viktor Kortschnoi verlor überra­schend gegen Valeri Filippov, aber der fünfzehn­jährige Jewgeni Alekseev erklam­merte mit Minus­bauern im Läufe­rend­spiel gegen Jewgeni Najer das Remis. Alexander Chalifman steuerte erneut nur ein Kurzremis - diesmal gegen Viktor Bologan - bei. Ebenfalls im Aufwind befinden sich Bosna Sarajevo (4,5:1,5 gegen die Polen aus Plock), Polonia Warschau (4,5:1,5 gegen die Öster­reicher von Merkur Graz) und Kiseljak (5,5:0,5 gegen die Belgier aus Eupen). Die beiden Schluss­runden versprechen damit Hochspannung auf Topniveau, denn nun treffen die geballten Großmeis­ter­kom­pe­tenzen aufein­ander. Mal sehen wer die ausdau­ernsten Trommler in seinen Reihen hat!

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