Non semper victus

von am 6. Februar 2012 in Berichte zur 1. Bundesliga, Saison 2011/12

Non semper victus
Sonntagmorgen: Schachfreunde Berlin gegen Trier

Die Annahme, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, hat eine lange philo­so­phische Tradition und ist Teil des größeren philo­so­phi­schen Arguments des 17. Jahrhun­derts, demzu­folge Gott mit dem Kosmos nichts Gerin­geres als eben die beste unter allen möglichen Welten hervor­bringen konnte. Er wäre andern­falls nicht Gott gewesen, das vollkommene Wesen. Die Argumen­tation fällt in ein Gefüge mit ihr verbun­dener logischer Überle­gungen, die im Verlauf des 17. und 18. Jahrhun­derts mit Erfolg (und einkal­ku­liert paradoxen Ergeb­nissen) Kernfragen der Religion auf das Gebiet der philo­so­phi­schen Debatte hinüber­zogen. Mit dem furiosen 6:2-Sieg gegen Bremen sind wir diesem Philo­sophem dank armeni­scher Hilfe sehr nahege­kommen und so lag es demzu­folge nahe, ebensolches bei dem Saison­hö­he­punkt im Schöne­berger Rathaus im Kampf gegen Baden-Baden zu erhoffen. Aber leider ist das so manchmal eine Sache mit den vollkom­menen Welten und ihren einkal­ku­lierten paradoxen Ergeb­nissen. Also kein souve­ränes 6:2 gegen Baden-Baden, sondern genau anders­herum! Vielleicht liegt ja hier das logische Paradox, dass es auch eine beste mögliche Welt aus Baden-Badener Sicht gibt?! Davon konnten sich die zahlreichen Zuschauer überzeugen, die am Samstag bei bitterer Kälte den Weg in den Willy-Brandt-Saal fanden. Schuld an dem regen Zuschau­er­zu­spruch war nicht nur der vielfache deutsche Meister mit seiner Beleg­schaft von Shirov, Naiditsch & Co (C&A fehlten leider), sondern sicherlich auch der frisch gebackene, oder sollte ich sagen gekrönte Sieger von Wijk, Levon Aronjan, von dessen schach­lichen wie magne­ti­schen Fähig­keiten man sich ein Bild machen konnte. (Vielleicht sollte man auch hinzu­fügen, seinen läufe­ri­schen Quali­täten, man sah ihn kaum einmal am Brett sitzen, dafür umso mehr seine Gegner Shirov und Howell, die schier am Stuhl zu kleben schienen, als sie über ihrer Stellung brüteten, während Aronjan leichten Schrittes, man wäre versucht es so zu formu­lieren, über den Dingen schwebte, schön einge­fangen im übrigen auf dem Foto, das auf der Start­seite prangt) Doch ein Shirov sorgt zumeist auch für einen hohen Unter­hal­tungswert, wie er in der sehens­werten Partie am Sonntag gegen Niklas Huschenbeth bewies und sich auch am Sonnabend der armeni­schen Umklam­merung gewachsen zeigte: Remis. Auch Hrant Melkumyan machte es Pons Vallejo so schwer wie möglich, der sich nachdem sein Opfer­an­griff zu scheitern drohte, mit den weißen Steinen schließlich zu einer Zugwie­der­holung genötigt sah. Die Übrigen leisteten harte und zähe Gegenwehr: Dirk „Poldi“ Poldauf stemmte sich 6 Stunden in einem Turm- und folgendem Damen­end­spiel, Andrei Maksi­menko war dem Remis sehr nahe, verlor aber im Dickicht der Drohungen den Überblick und musste gegen Movsesian die Segel streichen. Beson­deres Pech hatte unser Neuzugang Peter Michalik, dessen Uhr falsch einge­stellt war und ihm die 30-Sekunden-Zugabe verwehrte. Als er dessen gewahr wurde, hat er nach eigener Einschätzung wohl 15 Minuten eingebüßt und das war gegen einen 2700er doch ein wenig zu viel der Großzü­gigkeit. Dabei hatte Naiditsch mit den weißen Steinen eine etwas fragwürdige Variante im Caro-Kann gewählt, wie Ilja Schneider, der die Partien für die Zuschauer im Vorraum kommen­tierte, mit einer stupenden Varian­ten­fülle demons­trierte. Rainer haderte, worüber der Mantel des Schweigens gehört, ein kurzes Streif­licht seines Gegners Gustafson, „Partie­analyse“ wäre zu viel, findet sich in einem kurzen Interview mit Georgios Souleides (auf der Bundes­li­ga­seite). Während es an den anderen Spiel­plätzen also nur so vor Überra­schungen hagelte – Tegel bezwang die favori­sierten Hocken­heimer, Watten­scheid stellte den Solingern ein Bein und auch die Mülheimer gerieten gegen Emsdetten unter die Räder, verkehrte Welt also in der besten aller Welten … aber halt: eine Ausnahme gab es doch: zumindest war es die beste aller möglichen Welten für einen Schach­freund, denn Dennes Abel bezwang keinen Gerin­geren als Rustem Dautov in einer beein­dru­ckenden Partie.

Nachdem wir uns also mit der klaren Niederlage abgefunden hatten, führte der Weg zu einem nahege­le­genen Italiener. Im Hinter­grund des Lokals befand sich eine verkitschte Variante einer Abend­mahls­dar­stellung, über der ein Spruchband prangte: Non semper victus qui in pugna cecidit“. Leider waren Levon und Hrant nicht dabei, sonst wäre die biblische Zuordnung auch relativ eindeutig gewesen, wer Wein und Brot reichte - so musste der Kellner herhalten. Während ich, mit dem großen Latinum gewappnet, noch über die Verbform cecidit grübelte und meine kleine Obser­vation in den Raum stellte, verblüffte Ilja durch eine geschliffene Übersetzung: „Es ist nicht immer besiegt, wer im Kampf gefallen ist.“ - ein wahrhaftes Multi­talent für nützliches wie unnützes Wissen, erinnert sei noch an seine Partie gegen Edouard im Kampf gegen Bremen und Lars Thiedes (sinnge­mäßes) Zitat: „Wenn jemand so sonderbare Stellungs­typen und -Strategien (zwei Läufer gegen Springer im Endspiel) kennt, dann Ilja!“ Da zwar nun die Übersetzung, nicht aber der Urheber der Weisheit feststand, fing ich an, über den tieferen Sinn nachzu­denken. (Nachträg­liche Quellen­for­schung ergab, dass es sich um einen anonymen Autor handeln muss; ob es im Anschluss an die Niederlage einer Schlacht oder eines Turmend­spiels getroffen wurde, ist noch ungewiss und bedarf noch weiterer Prüfung, feststeht, dass es nicht von Rainer stammen kann, der – man erinnere sich - eher der prophe­ti­schen Litera­tur­gat­tungen zuzuschreiben ist.) Offen­kundig jedoch war hier eine gute Program­matik für den kommenden Kampf gegen die in starker Aufstellung antre­tenden Trierer am Folgetag formu­liert. Mag der Kampf gegen Baden-Baden zwar verloren sein, so sind die Schach­freunde dennoch nicht besiegt, im Kampf um das höhere Ziel, den Klassen­erhalt. Ob als Belohnung für die Übersetzung, das sei dahin­ge­stellt, auf jeden Fall durfte Ilja ran, während Dennes pausierte und die Kommen­tierung für die Zuschauer übernahm. (Am Rande sei bemerkt, dass Martin Krämer studi­um­s­be­dingt an diesem Wochenende leider nicht spielen mochte, ein wenig schade für ihn, weil man ja nicht jeden Tag mit der Nummer 2 der Schachwelt in einer Mannschaft gegen den amtie­renden Meister spielen wird). Ein gutes Omen für den Kampf gegen Trier war es dann auch, dass just die Stellung, die Ilja und Dennes noch wenige Minuten vor dem Beginn auf dem Brett hatten, tatsächlich auf das Brett kam. Die ersten beiden Punkte erzielten hingegen die Trierer. Kurio­ser­weise spielte Andrei exakt jene Variante, die noch vor wenigen Tagen in Gibraltar gespielt wurde und, da mit einem Damen­opfer verbunden, für einige Furore sorgte. Ob er sie kannte oder nicht, das Ergebnis war das gleiche wie in Gibraltar: schöner Sieg für Weiß; die zweite Niederlage musste Lars einstecken, der bis dahin eine gute Stellung ausge­spielt hatte und in Zeitnot ein takti­sches Versehen beging. Doch noch war der Kampf nicht geschlagen, es gab auch Hoffnung, Ilja hatte mittler­weile eine klare Gewinn­stellung und auch die Partien von Rainer und Hrant schienen deutlich besser für uns zu stehen. Und über Aronjans Fähigkeit, kleinste Vorteile auszu­bauen und Stellungen noch zum Gewinn zu führen, brauche ich nicht eigens zu schreiben. So verliefen die nächsten Minuten mit Höhen und Tiefen und etwas erleichtert konnten die mitfie­bernden Zuschauer regis­trieren, dass Arnd ein Remis durch Zugwie­der­holung rekla­mieren konnte. Hrant steuerte dann seinen Teil bei und somit war auch der zweite Punkt für die Schach­freunde offiziell. Remis auch für Peter und somit stand es 3:3 bei noch zwei laufenden Partien von Levon und Rainer. Und hier zeigte sich wieder einmal die große Klasse unseres zweiten Spitzen­bretts, der Howell schluss­endlich vor so große Probleme stellte, dass dieser an einem gewissen Punkt zusam­men­brach, auch zermürbt durch eine perma­nente Zeitknappheit. Schach­psy­cho­lo­gisch ist hier ein inter­es­santer Mecha­nismus zu beobachten gewesen. Howell musste schon eine Weile äußerst defensive Züge machen und versuchen, den „Laden dicht zu halten“. Und in der Tat war substan­tiell auch kein großer Vorteil zu erkennen. Schwarz war am Drücker, aber Weiß hatte alle Schwächen abdecken bzw. kontrol­lieren können. Geschick­ter­weise bot Levon dem Trierer eine Möglichkeit, einen aktiven Zug zu machen (Se4) und just dieser stellte die Partie ein! Rainer fiel es keine Mühe, seine Partie zum Remis zu führen und trug zur Reali­sierung seiner Prophe­zeiung zu Saison­beginn tatkräftig bei: Mit dem Abstieg haben wir in dieser Saison nicht am Hut!

Nachtrag: Als wir nach dem gewon­nenen Kampf gegen Trier denselben Italiener aufsuchten, mussten wir feststellen, dass besagtes Gemälde nicht mehr an seinem Platz hing, sondern offenbar unter myste­riösen Umständen von der Wand gefallen war. Wer jetzt nicht an die höheren (Schach-)Kräfte glauben mag?! Non semper victus ...

Ergeb­nisse, Fotos, Tabellen und Partien
Vorbe­richt im Tages­spiegel, 4. 2. 2012

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2 KommentareKommentieren

  • Dennes-Fan - 7. Februar 2012 Antworten

    Schöner Artikel. :) Wenn Dennis jetzt noch zu Dennes wird, ist er perfekt.

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