14 Fragen an Rainer Polzin

von am 19. August 2006 in Planet Schach

14 Fragen an Rainer Polzin

In der August-Ausgabe der  Zeitschrift Schach aus dem Jahr 2006 stellte sich Rainer Polzin 14 Fragen. Wir dokumen­tieren seine Antworten mit freund­licher Geneh­migung der  Zeitschrift Schach:

Vor allem als Spieler des Bundes­li­gisten SF Berlin 1903, der früheren Neuköllner, hat sich der 35-Jährige, der aus dem nieder­säch­si­schen Gifhorn stammt, einen Namen gemacht. Seine Hausmarke sind schneidige Angriffs­siege gegen höher einge­stufte Gegner, darunter einige mit dem sonst kriselnden sizilia­ni­schen „Drachen“, den er mit immer neuen Ideen am Leben erhält. Nicht zuletzt seinem persön­lichen Engagement auch abseits des Brettes ist es zu verdanken, dass sich sein Haupt­stadt­verein trotz beschränkter finan­zi­eller Mittel und stetig stärker werdender Konkurrenz seit zehn Jahren in der höchsten deutschen Spiel­klasse behauptet. Daneben übernimmt der Anwalt für Arbeits­recht, der in Berlin-Kreuzberg eine eigene Kanzlei unterhält, auch Verant­wortung für die Entwicklung der gesamten Bundesliga. Seit der Tagung Ende Juni in Kassel gehört Polzin dem neuge­wählten Bundesliga-Ausschuss an. Tausend Gründe, dem Berliner unsere Schach-Fragen vorzu­legen.

1. Wer ist Ihrer Meinung nach die a) am meisten über- und die b) am meisten unter­be­wertete Persön­lichkeit der Schach­ge­schichte?
a) Mir ist keine überbe­wertete Persön­lichkeit in der Schach­ge­schichte bekannt.
b) Hier hätte ich bis vor ungefähr eineinhalb Jahren an erster Stelle den Namen Wesselin Topalow genannt. Ich habe ihn erstmals im Mai 1991 anlässlich einer Jugend­eu­ro­pa­meis­ter­schaft an der Schwarz­meer­küste Rumäniens gesehen. Schon damals hat mich sein Stil beein­druckt. Zudem verstärkte er beim Strand­fußball als Stürmer die deutsche Mannschaft gegen die starken Tschechen. Mit seinem tollen Sieg gegen Kasparow bei der Schach­olym­piade in Moskau 1994 kam er in der Weltspitze an. Ich glaubte, dass er dem Russen schon bald die Krone streitig machen würde. Zwischen­zeitlich hatte ich die Hoffnung schon fast aufge­geben, dass er einmal die Nummer 1 wird. Leider kam es nie zu einem Wettkampf im Turnier­schach zwischen Kasparow und Topalow. Nicht so recht verstehe ich, wieso er sich auf das Match gegen Kramnik einge­lassen hat. Eine sport­liche Quali­fi­kation des Russen für den Wettkampf vermag ich nicht zu erkennen.

2. Was halten Sie für die schäd­lichste Entwicklung im modernen Schach?
Die Vorbe­reitung auf Partien dauert inzwi­schen ob der modernen Daten­banken mit einer großen Zahl an Partien eines jeden Spielers häufig länger als die Partien selbst. Das ist ärgerlich. Aber leider wird die Entwicklung nicht umkehrbar sein, nur in Mannschafts­wett­kämpfen sehe ich eine Möglichkeit, wie das Problem zu lindern ist. Ich würde die starre Brett­rei­hen­folge abschaffen. Das macht die Vorbe­reitung, aus der viele kurze Remisen resul­tieren, sinnlos.

3. Mit welchem Slogan würden Sie für Schach werben?
Ich habe vor einigen Wochen einen Werbespot mit Viktor Kortschnoj für Milch gesehen. Dieser Spot zeigt, wie gut man mit Schach werben kann. Selbst für Milch. Einen Slogan braucht man gar nicht. Brett und Figuren sagen genug aus.

4. Mit welchen Vorur­teilen über Ihr Schach oder Ihre Person würden Sie gern aufräumen?
Aus mir nicht recht nachvoll­zieh­baren Gründen gelte ich als Eröff­nungs­ex­perte. Das stimmt nicht! Daher eine Bitte an alle meine künftigen Gegner: Mangels bei mir vorhan­dener Theorie­kennt­nisse könnt ihr ruhig eure normalen Eröff­nungen spielen. 1. e4 ist stark und der Drachen funktio­niert hinten und vorne nicht. Außerdem mag ich es nicht, wenn e4-Spieler gegen mich (wie inzwi­schen häufig geschehen) zu d4 wechseln. Das hasse ich wirklich! Und ihr wollt doch nicht von mir gehasst werden? Und kommt mir ja nicht mit dem Einwand, Königs­in­disch sei noch schlechter!

5. Welche Eigen­schaften von Schach­spielern sehen Sie als typisch an?
Schach­spieler neigen zum Under­statement. Sie sind oft intel­ligent und häufig etwas faul. Sie können sich auch nach vier Stunden noch konzen­trieren und sind in der Lage, innerhalb kurzer Zeit komplexe Situa­tionen zu erfassen und zu beurteilen, was im Leben mitunter sehr hilfreich sein kann.

6. Welche Themen möchten Sie in der Schachöffentlichkeit/Schachpresse stärker behandelt wissen?
Es ist viel über Eröff­nungen zu lesen, aber ich vermisse Artikel über das Mittel- und weitgehend auch über das Endspiel.

7. Was möchten Sie im Leben unbedingt noch erler­nenbzw. was bedauern Sie, nie erlernt zu haben?
Etwas mehr Selbst­dis­ziplin würde mir gut tun.

8. Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?
Ich habe einen großen Traum, aber den verrate ich nicht.

9. Was ist Ihnen peinlich?
Seit ich 25 Jahre alt bin, ist mir nichts mehr peinlich.

10. Wie lautet Ihr Lebens­motto?
Suche den Fehler zunächst bei dir selbst!

11. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Land besei­tigen, wenn es in Ihrer Macht stünde?
Die deutsche Politik ist – unabhängig von dem Parteibuch – unzuver­lässig. Nahezu jeden Tag wird bei den wichtigen innen­po­li­ti­schen Themen Bildung, Rente, Kranken­ver­si­cherung, Abbau der Arbeits­lo­sigkeit ein neuer Vorschlag unter­breitet und der gestrige verworfen. Das führt zu wachsender Unsicherheit und wirkt kontra­pro­duktiv, da die Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft nachlässt. Reformen, soweit man hierzu überhaupt willens ist, haben nur dann eine Chance, erfolg­reich zu sein, wenn sie handwerklich sauber und insbe­sondere konse­quent durch­ge­führt werden. Hieran würde ich zu allererst etwas ändern.

12. Welche Persön­lich­keiten der Weltge­schichte faszi­nieren Sie am meisten?
Die Weltge­schichte hat mich nie sonderlich inter­es­siert, im Gegensatz zur Deutschen Nachkriegs­ge­schichte. Die Menschen, die mit ihren Visionen der neu gegrün­deten Bundes­re­publik Leben einge­haucht haben, faszi­nieren mich, der ich im Westen groß geworden bin, daher am meisten. Ich will dabei keine Person speziell heraus­heben. Es gibt viele Menschen, nicht nur Politiker, deren Leistungen mich beein­drucken.

13. Welche Frage würden Sie gern gestellt bekommen und wie lautet die Antwort darauf?
Ist das Bundes­li­gateam der Schach­freunde Berlin 1903 eine Amateur­mann­schaft?

Es kommt auf die Sicht­weise an. Vom finan­zi­ellen Stand­punkt ja. Wir haben einen sehr niedrigen Saisonetat. Vom sport­lichen Stand­punkt nein. Aus der Sicht des Mannschafts­führers kann ich sagen, dass die Einstellung der Spieler stimmt. Es gibt nahezu keine Kurzre­misen, jeder kämpft für den Mannschafts­erfolg und nicht für sich selbst und die Vorbe­reitung auf die Partien ist stets gut. Es kommt nicht nur auf den Elodurch­schnitt einer Mannschaft an. Das übersehen viele, wenn sie sich über die Erfolge des Amateur­teams aus Berlin wundern.

14. Aktuelle Frage: Feder­führend haben Sie zuletzt an einer struk­tu­rellen Neuor­ga­ni­sation der ersten Bundesliga mitge­ar­beitet. Was ist im Fluss?
Auf der Bundes­li­ga­tagung Ende Juni in Kassel wurde beschlossen, dass der Bundes­li­ga­aus­schuss mit dem Deutschen Schachbund Verhand­lungen mit dem Ziel aufnehmen soll, dass dieser die Rechte an der ersten Bundesliga einem Verein überträgt, in dem die jewei­ligen 16 Vereine der ersten Liga Mitglied sind. Durch die Vereins­gründung wird die Möglichkeit geschaffen, mit Sponsoren Vermark­tungs­ver­träge abzuschließen, von denen letztlich die Vereine profi­tieren. Beim Auf- und Abstieg etc. soll dagegen alles so bleiben wie bisher. Dem Vorstand wird in der Satzung die Möglichkeit eröffnet, eine Gesell­schaft mit beschränkter Haftung zu gründen, wenn er dies für notwendig erachtet. Die Beschluss­vorlage für Kassel sah vor, dass nach Abschluss der Verhand­lungen mit dem DSB sofort eine solche GmbH gegründet wird, deren allei­niger Gesell­schafter der Verein sein soll. Eine sofortige Gründung wurde von der Mehrheit der Vereine zwar nicht für notwendig erachtet, aller­dings wollte man sich diese Möglichkeit auch nicht verbauen. Im Vorfeld gab es durch Gerald Hertneck bzw. den TV Tegernsee massive Kritik an der geplanten organi­sa­to­ri­schen Heraus­lösung der Schach­bun­desliga aus dem DSB und der Gründung eines Vereins sowie einer GmbH. Ich will hier nicht auf die einzelnen Thesen eingehen. Hertneck hat sich mit der Art der Darstellung seiner Kritik unglaub­würdig gemacht. Die Thesen waren weitgehend demago­gisch formu­liert. Außerdem waren sie als erstes im Internet auf www.schach-ticker.de zu lesen und das erst eine Woche vor der Versammlung, obwohl schon im Vorjahr die neue Organi­sa­ti­ons­struktur grund­sätzlich und ohne Gegen­stimme von Tegernsee beschlossen wurde. Er musste dafür harsche Kritik in der Versammlung einstecken. Ich hatte den Eindruck, dass einige der anwesenden Vereins­ver­treter nur noch wenig Lust verspürten, die wenigen durchaus berech­tigten Vorbe­halte Hertnecks zu disku­tieren. Letztlich hat er mit der Art seiner Kritik die von der Mehrzahl der Vereine angestrebte Struktur eher gefördert.

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