Turnierzirkus: Was vor Wijk geschah
Die Zeit zwischen den Jahren beschert uns üppig mit Nachrichten aus der Turnierwelt, doch in der Berliner Liga-Prärie bleibt es still – auch die anderen SF Berlin-Autoren nehmen offenbar noch ihre Auszeit zwischen den Jahren. Gelegenheit also, einen kurzen Überblick zum Turniergeschehen zu geben, bevor das System Spinnenweben ansetzt.
Arkadij Naiditsch hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland Europameister werden konnte. In San Sebastian galt er mit Ruslan Ponomariow, Shakh Mamedjarow und vor allem Vugar Gashimov als einer der Favoriten. Allerdings behielten auch die ELO-Favoriten nicht immer die Übersicht, denn es wurde an zwei Brettern gleichzeitig gespielt. Eine Partie mit Weiß, eine mit Schwarz.
Gegen Andrej Wolokitin war für Naiditsch allerdings schnell Endstation, denn der Taktiker aus der Ukraine zeigte sich unbeeindruckt, als er von der deutschen Nummer Eins im Haudrauf-Blitzschach-Stil attackiert wurde. Im Gegenteil: Er bekam genau, was er wollte, und mit nur wenigen, eleganten Stichen kehrte Wolokitin den Spieß um und es war fortan Najditsch, der bald nur noch zusehen konnte, wie die schwarzen Figuren durch seine durchlöcherte Stellung spazierten.
Das Duell erinnerte an eine Partie des Ukrainers gegen Hikaru Nakamura, nur dass Naiditsch in diesem Fall nicht ganz so ungezwungen in die Partie gegangen war wie der US-Star, der zwar zwischenzeitlich sehr gut stand, insgesamt aber offenbar zu viel Bullet gespielt hatte vor dieser Partie:
Vor fünf bis zehn Jahren, als die neue ukrainische Generation um Ponomariow, Karjakin, Efimenko und Kollegen begann, von sich reden zu machen, trat auch Andrej Wolokitin in Erscheinung. Als er einmal Sergej Rublewski aus dem Sattel hob, schnalzten die Kenner mit der Zunge.
Das Turnier verlief für Naiditsch nicht sonderlich erfolgreich, aber so ging es auch Gashimov, Mamedjarow, van Wely und Ponomariow. Interessant war auch, wie der tschechische Großmeister Viktor Laznicka (2704) ab Runde vier die Top-Shots eliminierte: Die Skalps von Vachier-Lagrave, Gashimov und Moiseenko säumten seinen Weg, bis es zum großen Showdown mit Andrej Wolokitin kam (Details bei TWIC und Chessvibes).
Ein Destaster erlebte auch Hikaru Nakamura. Zwar führte er in Reggio Emilia die Tabelle lange an, brach dann aber zum Schluss konditionell ein. „Meltdown“ heißt dies in den USA, was wir hierzulande Zusammenbruch nennen, aber Nakamura blieb opitimistisch, muss er auch, denn bald geht es in Wijk weiter, und 13 Runden sind 13 Runden. Wassili Iwantschuk war aber der erste mit dem Meltdown, und der setzte nach einer Null in gewonnener Stellung gegen Nakamura ein. Gewonnen hat das Turnier übrigens Anish Giri, der zwar keinen Meltdown hatte, aber in Gewinnstellung gegen Alexander Morosewitsch patzte. Der erste große Turnier-Sieg für Giri!
Der gute Spieler wird vom Glück begünstigt, heißt es (Capablanca: „A good player is always lucky“), doch der gute Spieler weiß eben auch maximalen Widerstand zu leisten, und den zu überwinden kostet auch Nerven. Morosewitsch konnte offenbar einiges an Widerstand aufbieten, und Anish Giri wird daraus seine Lehren gezogen haben.
Auch in Reggio Emilia wurde wie in San Sebastian etwas Neues probiert. In diesem Fall die 3-1-0-Punkte-Regel wie im Fußball. Der Nachteil beim doppelrundigen Turnier liegt auf der Hand, denn mit einer Verlust- und einer Gewinnpartie können zwei Spieler mit einer beiderseitigen 3-Punkte-Ausbeute weiter kommen als mit zwei Remis und jeweils zwei Punkten (Details bei TWIC und Chessvibes).
Weihnachtsturniere gab es auch in der Berliner Prärie: Clemens Escher gelang ein gutes Ergebnis in Travemünde, Ralf-Axel Simon spielte in Zürich, in Potsdam landete Jan Paul Cremer von den Schachpinguinen vor Ulf von Herman, Martin Gebigke, Veit Godoj, Martin Brüdigam, Peter Welz und Ronny Gaerths.
Beim Zugzwang-Winteropen gewann Georg Kachibadze vor Dirk Paulsen. Auf den dritten Platz kam Kristian Dimitrijeski vor Sergej Kalinitschew (6.) und Frank Niehaus (7.).
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