Sommerpause beginnt versöhnlich

von am 8. April 2019 in Nachrichten

Sommerpause beginnt versöhnlich

Die heurige Bundesliga-Saison der Schach­freunde stand im Zeichen verpasster Gelegen­heiten, unerklär­licher Aussetzer und herzzer­rei­ßender Dramen. So dauerte es trotz des Rückzugs von DJK Aachen diesmal bis Ende März, bis der Klassen­erhalt feststand. Das Wochenende gegen Hamburg und Kiel war die letzte Gelegenheit, die Saison noch versöhnlich abzuschließen und keinen Frust in die Sommer­pause mitzu­nehmen. In beiden Matches trafen sich ungefähr ebenbürtige Mannschaften; somit war Spannung garan­tiert.

Turm Kiel – SF Berlin 4 - 4

Die Freie und Hanse­stadt Hamburg, nicht gerade als Eldorado für Sonnen­an­beter bekannt, empfing uns zum Bundesliga-Ausklang mit strah­lendem Frühlings­wetter. Passend dazu lag unser Hotel in einer grünen Gegend inmitten diverser Kanälen und Parks. Gerüchten zufolge genoss der eine oder andere Berliner Spieler auch nach 12 Uhr einen Cappuccino am Wasser und lagerte die Vorbe­reitung an Dr. Marco Baldauf in München aus. Der Eröff­nungs­the­rapeut, dem die Schach­meister vertrauen.

Das Match gegen Kiel begann ziemlich ruhig. Viele Schach­freunde (und ihre Gegner) frönten dem gesunden positio­nellen Spiel, so dass die Entschei­dungen in die vierte und fünfte Stunde vertagt wurden. Oder man schloss direkt Frieden. Dafür entschieden sich Kacper, der gegen Ivan Salgado nichts rausgeholt hatte, und Jacek, der gegen Igor Khenkin etwas schlechter stand und keinen Grund hatte, das pünktlich zum 20. Zug abgegebene Remis­an­gebot abzulehnen.

In drei Partien ging es schnell zur Sache: In Dennes’ b6-Halbslawen war irgendwas schief­ge­laufen und Weiß öffnete mit e3-e4 unter Bauern­opfer die Linien gegen den schwarzen König. In weniger als 30 Zügen war die Partie vorbei; somit 2-1 für Kiel. Schade für Dennes, dass er seine brillante Form aus Gibraltar nicht in die Bundesliga mitnehmen konnte. Aller­dings hatte auf Kieler Seite auch Artur Jakubiec in einem Lenin­grader mit vertauschten Farben den Faden verloren. Mein e-Bauer schlug sich im Mittel­spiel unbedrängt von e7 nach e2 durch, mit anste­hender Umwandlung: Punkt für Schwarz und 2-2 im Mannschafts­kampf.

Die dritte von Beginn an spekta­kuläre Partie war das polnische Derby an Brett zwei. Wojteks Gegner (Marcin Dziuba) opferte nach einem Bauern auch noch eine Figur (13. Sxf7!?), gewann beides zurück, ließ aber in Zeitnot den Gewinn aus: remis.

Die verblie­benen Stellungen gaben Anlass zu Optimismus: Peter stand leicht besser gegen Jonny Hector, Felix deutlich besser gegen Carsten Hoi und Alex hatte seinen Gegner mit Schwarz nach allen Regeln der Kunst überspielt. Die ideale Ausgangs­po­sition für einen knappen, aber letztlich ungefähr­deten Sieg.

Ich lief mit Wojtek und Kacper nach Hause, gab meine Partie in den Computer ein und fiel fast vom Stuhl, als ich den Zwischen­stand sah. 3,5-2,5 für Kiel??? Einga­be­fehler? Oder doch Einsteller? Nicht schon wieder…

Es war leider kein Einga­be­fehler. Was war passiert? Alex hatte im 42. Zug den forcierten Gewinn ausge­lassen (42. ...Sg4+!) und danach das Umschalten vergessen. Nach zweima­liger Stellungs­wie­der­holung wollte er sich nicht ins Remis fügen und übersah dabei einen kleinen Trick. Es war sofort aus: 1-0 und erneute Führung für Kiel.

Nun lag enorm viel Druck auf unseren beiden Ösis, aber sie meisterten die schwierige Aufgabe bravourös. Zwar reichte es bei Peter letztlich nicht zum Sieg, aber Felix brachte seinen Endspiel­vorteil souverän nach Hause und sicherte zumindest das 4-4-Unent­schieden. Zu spät aller­dings, um im polni­schen Restaurant, das ich in der Zwischenzeit ausge­sucht hatte, noch etwas zu essen zu bekommen.

SF Berlin - Hamburger SK 4,5 - 3,5

Nach ausgie­biger Vorbe­reitung am Vorabend saß ich morgens entspannt beim Frühstück, als die Meldung eintraf, dass Hamburg an den vorderen Brettern gewechselt hatte. Mein mutmaß­licher Gegner Jonas Lampert würde nicht spielen; für ihn rutschte Dorian Rogozenko ins Team. Damit hatte ich nicht gerechnet und mir daher auch nicht die Mühe gemacht, morgens nach dem Aufstehen die Aufstel­lungen zu prüfen. Statt einem ruhigen Spanier mit Lc5 (Möller/Archangelsk) also ein scharfer Najdorf gegen Lubomir Ftacnik. Und das am frühen Morgen!

Da es nur noch eine halbe Stunde bis zur Partie war, fand die Vorbe­reitung im Taxi statt---mit dem Laptop auf dem Schoß und unter gelegent­lichen Zwischen­rufen des Beifahrers: Alexander Seyb,  Professor für Najdorf­kunde. Leider konnte ich mit den Verweisen auf die einschlägige Fachli­te­ratur (“in der Variante X gibt es die wichtigen Partien A-B, C-D und E-F”) wenig anfangen. Auch Felix befragte seinen elektro­ni­schen Freund während der Fahrt. Der Taxifahrer murmelte irgendwas von “program­mieren” (lautes Gelächter) und war nach Ablauf der Fahrt um eine weitere Anekdote mit seltsamen Gestalten reicher.

Die auf das Wesent­liche kompri­mierte Vorbe­reitung schadete uns nicht: Felix erlangte Vorteil gegen Rogozenkos Philidor und ich erreichte im h3-Najdorf gegen Lubomir Ftacnik eine inter­es­sante Stellung mit beider­sei­tigen Chancen. Im 23. Zug hatte ich die Gelegenheit, einen Läufer unter Figuren­opfer auf e6 einzu­pflanzen. Objektiv blieb die Stellung danach unklar, aber der “Schreck” (O-Ton) fuhr Ftacnik so in die Glieder, dass er---bereits in Zeitnot befindlich---einen Zug später fehlgriff und eine Verlust­stellung erhielt. 1-0 für die Schach­freunde. Vielleicht etwas glücklich, aber den Mutigen...

An Brett eins, zwei und fünf trennte man sich remis. Kacper stand kritisch und hatte Glück, dass Rasmus Svane eine Remis­kom­bi­nation übersah. Dagegen hatten die Weißspieler an Brett zwei und fünf (unser Wojtek und Hamburgs Thies Heinemann) ihre Partien betont solide angelegt. Während Wojtek seinem Gegner noch etwas Genau­igkeit abver­langte, hatte Peter gegen Thies keinerlei Mühe auszu­gleichen. Irgendwer sollte Thies mal erklären, dass “spani­scher Angriffs­läufer” sich nicht auf den Springer c6 bezieht. Und ihm vorschlagen den Läufer nach a4 zurück­zu­ziehen anstelle besagtes Sprungtier in den Orkus zu befördern. Die Partien werden dann unter­halt­samer und ich habe mehr zu schreiben.

Auch Sune Berg Hansen versteht etwas von Solidität: gegen Jacek spielte er 1. Sf3 Sf6 2. g3. Als Jacek daraufhin “verbes­sertes Polnisch” auf die Bretter stellte---das unter­neh­mungs­lustige 2. ...b5!?---federte er diesen Ausfall sofort mit 3. c3 ab. Ja, so kann man spielen. Muss man aber nicht. Auch in der Folge machte Weiß keinerlei Anstalten, den frühzei­tigen schwarzen Vorstoß auszu­beuten. Schwarz glich komfor­tabel aus, Weiß fianchet­tierte den Springer auf g2, Schwarz spielte b5-b4, Weiß spielte die Figuren etwas hin und her, Schwarz gewann einen Bauern, Weiß opferte eine Figur, Schwarz nahm die Figur, Weiß gab auf. Nun ja. Zugege­be­ner­maßen aber eine starke Partie von Jacek.

An den hinteren Brettern schlug Hamburg zurück. Emil duellierte sich mit Dirk Sebastian in einer königs­in­di­schen Struktur ohne weißfeldrige Läufer (entstanden aus der verbes­serten Steinitz-Variante der spani­schen Partie). Trotz zwischen­zeit­licher Turbu­lenzen fand Sebastian viele starke Züge und fuhr den Punkt letztlich überzeugend ein. Auch Alex sah an Brett sieben wenig Land gegen Luis Engel, der eine gute Partie spielte und seine GM-Norm hiermit endgültig sicher­stellte. Ich war übrigens überrascht, dass eine anerkannte Najdorf-Koryphäe wie Alex zu einer dubiosen Eröffnung wie Pirc griff. Auch Profes­soren wollen sich anscheinend gerne außerhalb ihres Fachge­biets beweisen!

Erneut lag das Schicksal des Kampfes somit in den Händen von Felix, dessen Debüt­saison bereits vor dieser Partie die Erwar­tungen übertraf. Es glückte ihm seinen Vorteil zu verdichten und ein Schwer­fi­gu­renend­spiel mit zwei Mehrbauern in ein Damen­end­spiel mit fünf (!) Mehrbauern zu trans­for­mieren. Dorian Rogozenco brauchte einige Zeit, bis er den Aufgabe-Knopf fand, aber es stand nun mal 3,5-3,5 und manchmal passieren ja Zeichen und Wunder (wie Paul Hoffmanns Zeitüber­schreitung mit Dame gegen Turm am Vortag). Nachteil der Verzö­gerung war, dass ich die Sieges­feier noch vor dem Essen flucht­artig verlassen musste, um einen Zug in die alte Heimat Köln zu erwischen. Wobei die griechische Effizienz in der Küche einen größeren Anteil an diesem Debakel hatte.

Wie dem auch sei: 4,5-3,5 für die Schach­freunde und endlich mal wieder ein Sieg gegen eine gleich­wertige oder höher einge­schätzte Mannschaft. Ende gut, alles gut. Neunter Platz, Saison beendet, Landesliga abgewendet. Wenn auch in Zukunft unver­meidbar, sofern nicht mit 2800ern nachge­rüstet wird. Mein Name ist Jan Sprenger, ich verab­schiede mich in die Sommer­pause und gebe zurück ins Studio, bleiben Sie uns gewogen, schönen Urlaub, do widzenia und auf Wieder­sehen im nächsten Jahr.

 

 

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