Plovdiv: Remiskönig ohne Rating
Mit wundersamer Ruhe zieht bei der Europameisterschaft im bulgarischen Plovdiv ein Spieler ohne Rating seine Kreise: Dalibor Stojanovic aus Bosnien-Herzegovina hat eine ansehnliche Gegnerliste. Ernesto Iarkiew (Elo 2695), David Navarra (2700), Anish Giri (2717), Bartłomiej Macieja (2606), Pavel Ponkratov (2606) und Hedinn Steingrimmsson (2556).
Alle Partien sind Remis ausgegangen, Dalibor Stojanovic gelangen dabei sehr genaue Züge und seine Partieanlage ist ebenso klar wie furchtlos, dabei rationell und logisch, wie Schachspielen im Idealfall eben ist. Der Umstand, dass Stojanovic keine Rating hat, ist seinen Partien nicht anzusehen (← Link zur Fide-Sammlung).
Will man seinen Stil studieren, können aktuelle Verlustpartien aufschlussreich sein, aber für die muss man in der Fide-Datenbank stöbern. Gegen Emir Dizdarevic zum Beispiel schien es ein Horizontfehler gewesen zu sein. Interessant sind auch seine Verlustpartien gegen Jobava und gegen Sedlak. Und gegen Corrales Jimenez.
Stojanovic ist als Gegner eine harte Nuss. Und eine mysteriöse obendrein.
Update 31. März 2012:
Das Wunder geht weiter. Drei Entscheidungspartien in Folge! Was Navarra, Giri und Inarkiev nicht gelang, geschah: Dalibor Stojanovic spielte drei Mal hintereinander nicht Remis. Verblüffend.
Update Nummer zwei - auch am 31. März 2012:
Wieder Remis! Aber nach den ersten sieben Wunderrunden ist das jetzt auch egal. Neuer Europameister wurde Dmitry Jakovenko, der Laurent Fressinet in der Schlussrunde besiegte. Bester Deutscher wurde Mannschafts-Europameister Daniel Fridman (27.), bester Armenier Wladimir Akopjan (12.), bester Top-10-Profi wurde Fabio Caruana (38.), bester Teilnehmer der Schachfreunde Berlin schließlich Hrant Melkumyan (40.) – Dalibor Stojanovic wurde 199. mit einer Performance von Elo 2564.
Sebastian Schmidt-Schäffer - 12. Mai 2012
Hallo Fernando,
laut chessgames.com hatte Dalibor Stojanovic durchaus die meiste Zeit eine Elozahl, 2010 z.B. bei der Olympiade 2496. Ich meine, mal irgendwo gelesen zu haben, dass einige Verbände ihre Fide-Beiträge nicht rechtzeitig bezahlt haben und deshalb aus der Eloliste genommen wurden - das wäre vielleicht eine Erklärung. Von Wunder würde ich in diesem Fall aber nicht sprechen (genausowenig, wie ich bei der einen Partie in Belgien zwischen Landa und Nikolic von einer Stonewallschlacht sprechen würde. Ist aber wirklich ne witzige Partie, genau wie die von Moranda gegen Markowski!)
F. O. - 12. Mai 2012
Moin Sebastian,
schön, von Dir zu hören! Das ist in der Tat eine plausible Erklärung. Ist ja nicht so, dass Stojanovic zu der Rating wie die Jungfrau zum Kind kam.
Mich hatte es erstaunt, mit welcher Gelassenheit er die durchweg höherklassigen Gegnerschaft neutralisiert hatte. Aus meiner Sicht ein Wunder, aber sicher nicht nach objektiven Normierungswerten der deutschen Wunder-Verordnung.
Die Partie Landa-Nikolic hatte ich im Überschwang Stonewall-Schlacht genannt, auch wenn es kein Stonewall war (steht ja auch im Kommentar), einfach, weil es martialischer klingt, so als sei es eine legendäre Schlacht der Kelten. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass der Steinwall ja zwei Züge unbedingt voraussetzt, ...f5 und ...d5.
Lohnt sich immer wieder, sich frische Partien anzuschauen, freut mich, dass Dir die Auswahl gefällt. Gestern allerdings sah ich mir noch einmal die Immergrüne Serper-Nikolaidis aus den Neunzigern an. Vorgeschmack:
http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1289099
Fortsetzung folgt.