Mitgetrommelt - Schachfreunde Neukölln bieten weiterhin Paroli bei der Vereins-EM
Der Werbespot des endlos trommelnden rosa Duracell-Plüschhasen symbolisiert konstante Leistungsfähigkeit. Diese Assoziation kam dem Team der Schachfreunde als Vergleich in den Sinn, als sie vernahmen, dass in der fünften Runde der Europäischen Meisterschaft für Vereinsmannschaften der mazedonische Gegner von „Alkaloid“ - mutmasslich ein Unternehmen der Batterienproduktion - auf dem Programm stand. Die Spieler von Balkan gelten als ausdauernde Truppe, die häufig gewillt ist, Partien bis zur Neige auszukämpfen - Zockerqualitäten eingeschlossen. Am Vortag hatten es die Ungarn von Csuti Antal um die Großmeister Lajos Portisch und Attila Groszpeter zu spüren bekommen, als sie mit 5:1 das Nachsehen hatten. Da die Mannen aus der früheren jugoslawischen Republik kontinuierlich in identischer Besetzung mit drei Großmeistern, zwei Internationalen Meistern und einem Fide-Meister antreten, gestaltete sich die Vorbereitung nicht zu kompliziert. Trotz eines schlechteren Elo-Durchschnitt um 22 Punkte war der Tenor, dass wir durchaus mithalten können und der Ausgang völlig offen sei.
Blickte man nach einer Stunde auf die Bretter bestätigte sich diese Prognose nicht unbedingt. Vorne bekam ein hustengeplagter Stephan Berndt nicht den erwarteten Sizilianer, hinten parkte Henrik Rudolf bereits einen Bauern ein. Der Rest war unklar, wobei Dirk Poldauf von einem gegen ihn bislang wenig gespielten Königsinder mit vier Bauernphalanx im Zentrum überrascht wurde. Ganz auf aktives Spiel orientiert verfiel er nach eigenen Angaben in eine „Kinderkrankheit“, in dem er mit g5 den Läufer auf h4 befragte, auf den weißen Feldern Schwächen schuf und seine Figuren am Damenflügel unentwickelt ließ. Diese Faktoren reichten Orce Dancevski bereits aus, um mit der Dame ungehindert auf h5 zu infiltrieren und den Läufer auf e3 ideal für die finale Zertrümmerung des Bauernschutzschild um den König aufzustellen. Der Springer von b8, der überlebensnotwendige Verteidiger, schaffte in allen Varianten nicht mehr den Sprung nach f6. Vielmehr war es Dirk als Schwarzspieler, der seinem Gegenüber in der Analyse die letzten taktischen Feinheiten der Gewinnführung offen legte. Ein Bravo auf den sich mehr und mehr zu Taktiker outenden Schachfreund, aber in der nächsten Runde wieder auf der richtigen Seite.
Doch dem Team musste nicht Bange werden. Den Rückstand nach drei Stunden glich am Spitzenbrett Stephan Berndt zwanzig Minuten später postwendend aus. Alles funktionierte für Weiß perfekt gegen die scheinbar solide sizilianische Struktur in der Sozin-Variante: große Rochade, Türme auf der d- und e-Linie, Bauernsturm am Königsflügel, Springeropfer auf e6 und Läuferpaardominanz von d3 und e3 gegen den Königsflügel. Mattführung im klassischen Sinne und Aussichten auf einen offenen Ausgang des Mannschaftsmatches. Noch vor der Zeitkontrolle nahm Martin Borriss trotz Mehrbauern Remis in komplexer Position an, denn unser bester Punktesammler, Lars Thiede zauberte bereits gegen Alexander Colovic. Da dieser ähnliche Eröffnungssysteme wie der Berliner spielt, waren wir uns nicht sicher, welche Strategie er wählen würde. In der Stunde vor der Zeitkontrolle waren solche Überlegungen bereits ad acta gelegt, denn Lars hatte einen Bauern auf f7 eingepflanzt, hinter dem der schwarze König eingeklemmt auf seine Hinrichtung warten musste - alle weißen Figuren kontrollierten Linien und Diagonalen. Selbst ein Figurenopfer, welches dem Gegner ein verbundenes Freibauernpaar auf d4 und e4 verschaffte, erwies sich als verspätet. Wir hatten die Führung erkämpft, wussten aber, dass Henrik auf verlorenem Posten stand.
Zwanzig Minuten nach der Zeitkontrolle stellte er den Widerstand ein, womit alles vom Ausgang der Partie zwischen Rainer Polzin und Großmeister Dragoljub Jacimovic abhing. Wie sich post-mortem herausstellte, verpasste Rainer in gegnerischer Zeitnot, noch intensiver zu kalkulieren. Ein Opfer Turm gegen zwei Leichtfiguren hätte im königsindischen Stellungstyp deutlichen Vorteil ergeben. Doch so musste unser „Mann für die langen Sitzungen“ weiterhin vor den giftigen Mattdrohungen auf der Hut sein. Als er diese mit einem Turmmanöver beseitigt hatte und sich die Stellung durch Abtausch weiterer Bauern mehr und mehr vereinfachte, bot er völlig korrekt Remis an. Aber der mazedonische Großmeister mit reichlich Goldschmuck und Sonnenbrille im lockigen schwarzen Haar bestätigte unsere ursprüngliche Vermutung, dass heuer alles gezeigt werden muss - es könnte ja noch eine trickreiche Wendung oder eine Konzentrationsnachlässigkeit passieren. Doch gegen einen Volljuristen ist die Sache nicht so einfach. Rainer reduzierte unter Hergabe der Qualität die weißen Bauern auf Null. Die Lehrbuchstellung Turm gegen Läufer mit König in der richtigen Ecke bot keinen Grund zu Klage. Nach sechseinhalb Stunden wurde das Verfahren eingestellt - der Mannschaftskampf endete friedlich-schiedlich 3:3. Kein schlechtes Resultat, wenngleich unter Umständen ein Gewinn in Reichweite war.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Begegnungen der drei israelischen Team noch in vollem Gang. Wegen des Yom-Kippur-Feiertag begannen den Auseinandersetzungen erst um 18 Uhr. Ansonsten war es der Tag der entschiedenen Matches. Norilsky Nikel bezwang Werder Bremen glatt mit 4,5:1,5. Die Hansestädter hatten am Vortag Glück gehabt, als Steffen Pedersen mit Mehrläufer und Mehrbauer keine Nerven hatte, Yannik Pelletier zu besiegen und das 3:3 perfekt zu machen. Gegen die noch verlustpunktfreien Russen erzielten Zbynek Hracek, Lars Schandorff und Sven Joachim jeweils halbe Punkte. Auf Verfolgerkurs bleibt St. Petersburg, da Gazovik knapp mit 3,5:2,5 besiegt wurde. Viktor Kortschnoi verlor überraschend gegen Valeri Filippov, aber der fünfzehnjährige Jewgeni Alekseev erklammerte mit Minusbauern im Läuferendspiel gegen Jewgeni Najer das Remis. Alexander Chalifman steuerte erneut nur ein Kurzremis - diesmal gegen Viktor Bologan - bei. Ebenfalls im Aufwind befinden sich Bosna Sarajevo (4,5:1,5 gegen die Polen aus Plock), Polonia Warschau (4,5:1,5 gegen die Österreicher von Merkur Graz) und Kiseljak (5,5:0,5 gegen die Belgier aus Eupen). Die beiden Schlussrunden versprechen damit Hochspannung auf Topniveau, denn nun treffen die geballten Großmeisterkompetenzen aufeinander. Mal sehen wer die ausdauernsten Trommler in seinen Reihen hat!
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