Il Vesuvio oder Giuoco Piano --- Hauptsache Italien

von am 30. September 2020 in Nachrichten

Il Vesuvio oder Giuoco Piano --- Hauptsache Italien

Die Schach­freunde Berlin bei der Bundesliga-Meister­schaft in Karlsruhe (Teil 1)

 „Das schönste Land in Deutsch­lands Gau’n,
das ist das Badner Land.
Es ist so herrlich anzuschaun
und ruht in Gottes Hand.”

Um ehrlich zu sein, habe ich das immer für ein Gerücht gehalten. Karlsruhe zumal, eine langweilige Provinz­stadt, wo man Züge wechselt oder auf der A5 im Stau steht. Aber während des Bundesliga-Meister­tur­niers habe ich meine Meinung geändert: es handelt es sich um eine der lebens­wer­testen Städte Deutsch­lands. Ein barockes Schloss im Stadt­zentrum, hinter dem sich endlose Wälder erstrecken, die einem Eichen­dorff-Gedichtband entnommen sein könnten und sich mit dem Fahrrad leicht erkunden lassen. Authen­tische Cafés, Kneipen und Brauhäuser mit gutem Essen und Wifi-Passwort „nurder­k­scnur­derksc”. Vor allem aber der Feinkost­laden „Il Vesuvio” inklusive sizilia­ni­scher Mama und der sogar von den Berlinern sehr geschätzte Falafel-Imbiss „Palmera”. Sowie eine große Anzahl herrlicher Schwimm­bäder, vom beinahe ganzjährig geöff­neten Freibad mit 50m-Bahn bis zur Vierordt-Therme neben dem Spielsaal. Ja, es lebt sich nicht schlecht im Badner Land.

Rainer Polzin hatte uns nicht im Beton­kasten neben dem Spielsaal einquar­tiert, wo die meisten Mannschaften logierten, sondern im kleinen, aber sympa­thi­schen „Hotel Barba­rossa” in der Karls­ruher Südstadt. Somit konnten wir auf dem kurzen Weg zum Spielsaal mehr als einmal einen Boxenstop bei erwähntem „Vesuvio” einlegen und die notwendige Kaffee­zufuhr sicher­stellen. Insbe­sondere Krzysztof war durch den fehlenden Kaffee im Spielsaal (Corona!) sichtlich aus dem Konzept gebracht, was man seinem Spiel aber nicht anmerkte.

Die Berlin Boyz waren diesmal eine bunte Mischung aus gestan­denen Altmeistern, die beim Espresso ihre Lebens­weis­heiten von sich gaben (Rainer Polzin, Henrik Rudolf, Jan Sprenger), den heran­stür­menden Talenten Felix Blohberger, Emil Schmidek, und Johannes Florstedt, unseren polni­schen Elite­truppen (Szymon Gulumarz, Krzysztof Jakubowski) sowie Marco Baldauf, der ein bisschen von allem ist - vor allem aber unver­zicht­barer Eröff­nugs­the­rapeut, auf dessen Couch schon mancher Spieler für den vollen Punkt am Nachmittag flott gemacht wurde. Mit dieser Aufstellung---Mikael Agopov musste leider kurzfristig wegen Krankheit absagen---hofften wir darauf die Teams in Reich­weite zu schlagen (Aachen, München) und vielleicht einen Überra­schungs­erfolg gegen die starken Teams einzu­fahren.

Dienstag, 15. September

Der Anrei­setag. Beim Abend­essen in reduzierter Besetzung wurde darüber disku­tiert, dass GRENKE in der Wirtschafts­presse gerade in einem Atemzug mit Wirecard genannt wird. Großer Stress bei den Gastgebern und Organi­sa­toren. In der Zwischenzeit lerne ich ein paar Spieler besser kennen. So erfahre ich, dass Johannes ebenfalls Klavier spielt; sofort werden ein paar vierhändige Stücke von Schubert einge­plant und Spotify-Links in der Gruppe geteilt. Das Gespräch zu dritt - der Gitar­ren­vir­tuose Emil ist auch dabei - dreht sich viel um Musik und ihre Ästhetik.  Spät abends treffen die anderen Spieler ein, aber wir sehen uns erst am nächsten Tag beim Frühstück. 

Mittwoch, 16. September

Gleich im ersten Kampf müssen wir gegen das „Kanonen­futter” aus Aachen antreten. Da wir die Aufstellung nicht kennen und die Vorbe­reitung schwierig ist, gönnen wir uns einen geruh­samen Vormittag bei „Il Vesuvio”, während die Kastanien von den Bäumen der Fußgän­gerzone fallen. „So gut wird es uns im ganzen Turnier nicht mehr gehen”, prophezeit Marco. Ich freunde mich mit der Sizilia­nerin Sara an, die hinter der Käsetheke steht. Gleich meine erste Bestellung geht aller­dings schief, als ich anstelle eines „caffè normale” (in Italien das gebräuch­liche Wort für einen Espresso) eine große Tasse Kaffee erhalte. Lachen, Entschul­digung, aber ab jetzt gibt es keine Missver­ständ­nisse mehr.

Um 14 Uhr wird es dann ernst und wir betreten die riesige Weiten der Garten­halle mit Metern Abstand zwischen den Brettern. Zwei Spielsäle für je zwei Kämpfe. Wir sind meistens in einem etwas tristen Saal, der so aussieht, wie leere, ungeschmückte Messe­hallen es nun einmal tun. Nicht einfach den Überblick zu behalten. Aller­dings gibt es für jeden Kampf einen Bildschirm, an dem man schnell die Lage einschätzen kann ohne alle Bretter auf- und abzuschreiten. Das Corona-Protokoll sieht Plexiglas über den Brettern und keinen Handschlag vor und nach der Partie vor. Nicht ideal, aber unter den gegebenen Umständen akzep­tabel.

Der Kampf verläuft ungeahnt schwierig. Am Anfang erscheint noch alles im Lot, da Felix schnell Vorteil erhält und Szymon seinen Gegner Christian Seel nach dessen zahmer Eröff­nungs­be­handlung mit Schwarz überspielt. Krzysztofs Gegner Felix Klein lässt seine Zeit ablaufen. Auch Marco erreicht Vorteil im Mittel­spiel und gewinnt flott eine gute Partie gegen den starken IM Thomas Koch. Dasselbe glückt Emil gegen Rudolf Meessen. Nur eine Frage der Höhe des Sieges?

Alle Partien nachspielen:

https://chess24.com/en/watch/live-tournaments/schachbundesliga-2020-meisterschaftsturnier/1/3/1

Weit gefehlt. Szymon lässt eine große Siegchance aus, verliert danach den Faden und verpasst den Moment um die Notbremse zu ziehen. Sein Gegner kontert ihn aus und fährt den Punkt ein. Ich selbst habe mit Schwarz gegen Thibaut Vanden­bussche die Partie zu aggressiv angelegt und muss ein schlechtes Endspiel vertei­digen. Felix hat zu optimis­tisch gespielt, seine gute Stellung überzogen und steht ebenfalls am Rande des Abgrunds. Krzysztof forciert die Dinge gegen seinen in Zeitnot befind­lichen Gegner ohne Not und verliert überra­schend. Henrik sieht Gespenster und nimmt in klar besserer Stellung ein Remis­an­gebot an. Johannes muss ein Endspiel mit Bauer gegen Qualität vertei­digen (das sein Gegner aller­dings schnell remis gibt).

3-3 also mit noch zwei schwie­rigen Stellungen. Glück­li­cher­weise ist mein Turmend­spiel mit Minus­bauer leichter remis als ich dachte, und auch Felix kann sich nach weiteren Abenteuern letzt­endlich halten. Diese wohl inhalts­reichste Partie des Wettkampfes hat Felix selbst kommen­tiert:

 

4-4 gegen die nominell klar unter­le­genen Aachener ist natürlich eine ziemliche Enttäu­schung. Aber Zeit zum Erholen bleibt nicht, denn am nächsten Tag warten mit Viernheim und Baden-Baden die beiden Meister­schafts-Kandi­daten!

 

Donnerstag, 17. September

Dass es heute nicht spannend wird, ist uns allen klar. Zu groß ist die indivi­duelle Klasse unserer Gegner, die selbst in ihrer „Sparauf­stellung” drückend überlegen sind. Aber immerhin hoffen wir auf ein paar gute Partien und auf Nieder­lagen in erträg­licher Höhe.  Am Morgen gegen Viernheim spielen Rainer und Henrik gegen Gegner in Reich­weite und sind (manchmal) nahe am vollen Punkt:

 

 

 

Auch an den anderen Brettern bleibt die Ausbeute unter den Erwar­tungen. So werfe ich zum Beispiel gegen Anton Korobov eine etwa ausge­gli­chene, etwas unangenehm zu spielende Stellung durch ein Panikopfer im 38. Zug weg. Gegen einen gleich starken Gegner hätte ich das wohl nicht einmal erwogen. Szymon und Emil glücken solide Remisen, und Krzysztof fährt gegen den franzö­si­schen GM Thal Abergel sogar einen vollen Punkt ein. Dabei bleibt es leider. 2-6.

Alle Partien nachspielen:

https://chess24.com/en/watch/live-tournaments/schachbundesliga-2020-meisterschaftsturnier/2/3/1

Abends wird es dann noch härter; es wartet Serien­meister Baden-Baden. Die unter­halt­samste Partie spielt Szymon, der sich gegen Caruana furchtlos „modern” verteidigt:

 

Marco glückt ein Remis gegen Radoslaw Wojtaszek, der mit Schwarz einen sehr provo­kanten, aber vielleicht gar nicht mal so schlechten Aufbau wählt. Aber die überra­schendsten Dinge passieren an Brett drei:

Als ich fertig bin, höre ich, dass wir an den hinteren Brettern (erwar­tungs­gemäß) nichts geholt haben. 1-7, standes­gemäße Niederlage. Alle Partien findet der Leser hier:

https://chess24.com/en/watch/live-tournaments/schachbundesliga-2020-meisterschaftsturnier/3/2/1

Beide Kämpfe hoch verloren, in beiden Runden einen halben Punkt verschenkt, 10 Stunden am Schach­brett, abends um 23 Uhr nichts mehr zu essen. So sieht Bundesliga in Corona-Zeiten aus. Wobei Marco freund­li­cher­weise seine (noch gerade vor Küchen­schluss bestellte) Pizza mit mir teilte. Auch sein Tag ist nicht optimal gelaufen: er vermisst seinen Geldbeutel. „Hoffentlich liegt der noch am Brett.”

Nach den Aufre­gungen des Tages dauert es etwas, bis ich einschlafen kann. Meine letzten Gedanken vor dem Wegdämmern sind „48. ...h5+! Aaahhhh!” und „wie gut, dass ich Samstag nachmittag aussetzen darf”.

(Fortsetzung folgt)

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