Europapokal Runde 6+7: Mit Hängen und Würgen
(von Jan Sprenger aus Porto Carras)
Der verpasste Sieg gegen Werder Bremen in Runde 5 bedeutete zugleich das Ende unserer Träume von einer Platzierung in den Top Ten. Mit zwei abschließenden Siegen gegen schwächere Teams konnten wir aber noch auf “+2” kommen und das Turnier in der Nähe unserer Startposition beenden. Gesagt, getan---nur die Umsetzung trieb den Puls unseres Kapitäns Rainer Polzin mehr als einmal in schwindelerregende Höhen.
Runde 6:
In Runde sechs mussten wir die äußerst machbare Aufgabe Wirtzfeld (Belgien) lösen, die zwar einen Großmeister am ersten Brett aufweisen konnten, dahinter aber deutlich abfielen. Unser 4-2-Sieg zeichnete sich schnell ab, fiel aber hinter den Erwartungen zurück. Ich verpasste am Spitzenbrett in Zeitnot den Gewinn (oder vielmehr, ich traute mich nicht, den gewinnbringenden Zug auszuführen). Marco konnte seinen Mehrbauern im Doppelturmendspiel nicht verwerten, Alex wurde mit den schwarzen Steinen von seinem Gegner zum Remis ausgebremst, und auch Rainer durchbrach die solide Verteidigung seiner Gegnerin nicht. Dafür feierte Dennes einen ersten Sieg in einer insgesamt überzeugenden Partie und auch Henrik gewann ein Endspiel mit Läuferpaar. 4-2 war weniger als das erhoffte Massaker, aber immerhin ein ungefährdeter Sieg.
Runde 7:
Die Schlussrunde präsentierte uns mit dem litauisch-russischen Team von Overtime, das ebenfalls schwächer als wir einzuschätzen war. Zumal Spitzenbrett Alexander Khalifman pausierte---vielleicht um sich einer Detox-Behandlung im hoteleigenen Wellness-Bereich zu unterziehen? Wir haben es nicht erfahren. Allerdings stand der Kampf lange auf des Messers Schneide, und das schlussendliche 4,5-1,5 war mehr als geschmeichelt. Es war vielleicht sogar unsere schwächste Leistung im Turnier.
Gegen wir die Bretter der Reihe nach durch. Ich entschloss mich mal wieder das angenommene Damengambit auszupacken, lief in eine Vorbereitung meines Gegners (ein junger weißrussischer IM) und griff kurz darauf im Endspiel fehl. Es glückte mir nicht die Ruine von einer Stellung zu verteidigen. 0-1 aus Sicht der Schachfreunde also. Eine sehr schlechte Leistung und nie wieder QGA.
Auch an den anderen Brettern sah es nicht nur gut aus. Zwar sollten Alex und Rainer gewinnen, aber Marco war in einem Trompowsky in einen riesigen Angriff gelaufen und verkehrte in großen Problemen. Dennes stand gut---im Mittelspiel vielleicht sogar gewonnen---, aber im entstandenen Schwerfigurenendspiel (Dame gegen zwei Türme) konnte aufgrund der Freibauern und relativ offenen Könige alles passieren. Und die Dynamik der Partie sprach gegen ihn.
Der Hammer war aber, was bei Henrik ablief. Im Mittelspiel hatte er seinen Gegner mit 1600 Elo problemlos überspielt, aber unter Zeitdruck genügten ihm selbst “+7” nicht um den K.O.-Schlag zu versetzen (wobei solche Computerbewertungen die praktischen Schwierigkeiten in scharfen Stellungen natürlich unzureichend wiedergeben). Einige nervöse Zeitnotreflexe später stand ein remisliches, sicher nicht besseres Endspiel auf dem Brett.
Alex und Rainer gewannen wie erwartet, wobei Rainers Gegner mit glatter Minusfigur erst die Zeit ablaufen ließ und danach aufgab. Ich hatte meine Partie zu diesem Zeitpunkt schon beendet und machte eine auffordernde Geste in Richtung des gegnerischen Spielers, worauf das dritte Brett von Overtime (Marcos Gegner, IM Sotsky) sofort aufstand und sich für das Verhalten seines Mitspielers entschuldigte. Sehr faire Geste! Kurz darauf stand es wirklich 2-1 für die Schachfreunde.
Die anderen drei Bretter gingen in die “Overtime”: die sechste Stunde. Dann geschahen Zeichen und Wunder. Marco war dem Angriff zwar längst entwischt und hatte ein gleichstehendes, um nicht zu sagen totremises Endspiel auf dem Brett, aber sein Gegner ließ sich in die Defensive drängen, gab einen Bauern und verlor ein komplexes 3-2-Turmendspiel. Dennes’ Partie war und blieb der helle Wahnsinn; aufgrund der Komplexität der Stellung wechselten die Beurteilungen schnell. Schließlich stand das wahrscheinlichste Ergebnis (remis) auf dem Partieformular. Am Ende gewann auch Henrik---oder vielmehr, sein Gegner verlor ein eigentlich unverlierbares Endspiel (Weiß: König g2 oder so, schwarzfeldriger Läufer, Bauern e5, f4, h2; Schwarz: Kf7, Se6, Bauern f5 und h6). 4,5-1,5.
Mit diesem Ergebnis hatten wir unsere Pflichtaufgabe erfüllt, auch wenn wir in den letzten Runden sicher keinen souveränen Eindruck hinterließen. Technik, die begeistert. Am Ende steht aber ein solides Resultat für die Schachfreunde (15. Platz) und eine Woche mit guter Stimmung und vielen Highlights abseits der Runden. Abendliche Analyserunden und Strandspaziergänge. Bootsausflug mit Abendessen im nahegelegenen Dorf. Schwimmen im Meer vor dem Frühstück, gerne auch mit schwungvollem Eintauchen. Fußballspielen mit Magnus Carlsen. Therapiesitzungen in Zimmer 377 mit (Najdorf-)Professor Seyb und dem Schachspielererflüsterer Doktor Baldauf. Und natürlich: “Kann ich mal ‘ne halbe Stunde den Laptop haben?” (Dennes Abel). Das Essen im Hotel war übrigens akzeptabel, aber einseitig, die Zimmer komfortabel und die Aussicht grandios. Wir hoffen, dass wir uns gut für die anstehende Saison warmgespielt haben und dass wir 2019 einen Platz in den Top Ten anpeilen können---sowohl in der Liga als auch im Europapokal! Die Trainingspläne sind jedenfalls erstellt; was im Alltag aus den guten Vorsätzen wird, muss hingegen noch offen bleiben.
Endstand nach 7 Runden
(Endstand nach 7 Runden, 61 Mannschaften)
Martina Skogvall - 23. Oktober 2018
Echt fluffig geschrieben - vielen Dank für die Berichte, auch an Alex. Lasst Euch sagen, auch am Monitor war das Mitfiebern nicht immer stressfrei. Schön jedenfalls, dass Ihr die Schachfreunde international vertreten habt. Ich freue mich auf die BL-Saison!