Bye bye, Elektroschach

von am 27. Januar 2015 in Planet Schach

Bye bye, Elektroschach
Relikt aus einer nicht so fernen Vergangenheit: Elektroschach-Partienforumulare des SK Tempelhof

Vorgestern beim Auswärts­spiel in den Räumen des SK Tempelhof: Alles klarmachen für die fünfte Runde gegen den Aufstiegs­kon­kur­renten, Platz nehmen am Brett, Stift zücken und das Partie­for­mular vorbe­reiten. Doch da geschieht’s: Das Blatt kurbelt die Zeit zurück. Mit einem Mal ist Elektro­schach, Laden für alles, was Schach­spieler die Geldbörsen zücken lässt, wieder aufer­standen. Dabei hatten die Ketter­lings den Laden doch erst im Dezember geschlossen.

Bei Marcel Proust ruft der Duft eines bestimmten Gebäcks die Erinnerung wach. Der Erzähler von „Auf der Suche nach der verlo­renen Zeit“ tunkt die Madeleine in den Tee, und mit einem Mal taucht eine längst vergessen geglaubte Erinnerung an ein vergan­genes Zeitalter wieder auf (siehe auch hier).

In meinem Falle betrachtete ich vor der Partie das Formular und ließ mich derart von den Erinne­rungen an die Pilger­fahrten in die Duden­straße mitnehmen, dass ich ganz vergaß, wie man die Züge eigentlich notiert (siehe Formular in der Mitte: zu weit in den Spalten).

Die Infor­ma­toren gingen gut, erzählte Heide Ketterling am Sonntag. Sie kamen direkt von Rattmann aus Hamburg (auch so ein Name, den nicht mehr viele kennen). Meist schon am Tag nach der Bestellung. Anfangs lief das Geschäft noch nicht so gut, aber dann, Mitte der Achtziger, ging es flott aufwärts – in dieser Zeit brummte das Schach­leben in Berlin (West): Kreuzberg, Lasker Steglitz und Zehlendorf spielten in der ersten Schach­bun­desliga mit Namen wie Nunn, King, Conquest, Pritchett, den Gebrüdern Greszik. Legendär die nächte­langen Blitz­duelle von Frank Dietze gegen Dietmar Lingemann (räumt heute gern als Mann der Grünen bei Politiker-Turnieren ab). Eine ausge­dehnte Kneipentour zu Silvester mit Panagiotis Cladouras, Daniel Holzapfel, Lucas Brunner und Herrn Kühn. Michail Tal beim SK Zehlendorf. Willi Kanonenberg. Nächte im Belmont oder mit Bulti und Herbert Kautschmann in der Lietzen­burger, Blitzuhr hatten wir dabei, Figuren waren dort. Ellen Kyber­netik beim SK Zehlendorf, dessen schönes Frauenteam und Bultis schöne Gesell­schafts­ko­lumne in der Clubzeitung.

Wer wissen wollte, was denn nun mit dem letzten Schrei in der Najdorf-Haupt­va­riante (damals gab es nur eine: B99) ist, musste zu Zeitschriften greifen. Titel wie das „Schach­ma­gazin 64“ waren damals Pflicht­lektüre. Von Rattmann gab es Lose-Blatt-Publi­ka­tionen. Bei Ketterling gab’s das alles. Wie hieß der Laden in der Potsdamer Straße nochmal? Und hatte Arno Nickel schon seinen Laden?

Der Markt für schach­spie­lende Möbel­stücke (also Schach­com­puter) brummte. Damals konnten die nett angefer­tigten Dinger bei den Ketter­lings im Laden auspro­biert werden. Da lungerte schon mal der eine oder andere am Brett herum. In Lübeck habe ich mal gegen so ein Ding in der Kneipe „Uhlen­busch“ mal auf Zeit gewonnen. Später trieb Garri Kasparov als Star-Kunde die Entwicklung von ChessBase voran, das auf Disketten vertrieben wurde. Die spielenden Möbel­stücke wurden verdrängt, der Weltmarkt­führer machte sich Platz. Gab’s aber auch in der Duden­straße zu kaufen.

Noch in den letzten Jahren kam ich immer wieder in den Laden. Manchmal, um die neueste Ausgabe des „New in Chess“-Magazins zu kaufen, manchmal, um nach einer Botwinnik-Partien­sammlung zu suchen oder die mecha­nische Schachuhr reparieren zu lassen (kostete meist einen Zehner) oder um einfach nur irgendwas Überaschendes und Nettes zu finden (zuletzt eine Sammlung von Smyslow-Partien).

Die Ketter­lings sind Weihnachten in Rente gegangen. Am Sonntag waren sie aber dabei. Gelegenheit für mich, kurz mit Frau Ketterling zu plaudern.

Da saß ich also am Brett mit diesen ganzen wachge­ru­fenen Erinne­rungen, die von dieser klein­ge­druckten Notiz auf dem Formular wachge­rufen wurden. Und prompt schrieb ich die Züge nicht in die vorge­sehene Spalten (zwei Halbzüge pro Spalte), sondern wählte einen Halbzug pro Spalte (ist ja nicht verboten und kam mir mit dem Platz entgegen, da ich gern meinen Umgang mit der Bedenkzeit notiere).

Mich selbst störte das nicht. Mein Gegner aber kam später in Zeitnot und bat um mein Formular, weil er gern die Züge vervoll­stän­digen wollte. Bei meinem unortho­doxen Notations-System war er in Zeitbe­drängnis mit den diffe­rie­renden Zugnummern natürlich gekniffen. Pardon, war keine Absicht.

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6 KommentareKommentieren

  • Robert Schmidt - 17. März 2015 Antworten

    Die Buchhandlung in der Potsdamer Str. unweit des Kleist­parks hieß „Ziegan“.
    Dort gab es ein Riesen­regal mit Schach­bü­chern, die damals gängigen Schach­zeit­schriften und einen Haufen des „Infor­mators“, wenn die neue Ausgabe erschien.
    Weitere Höhepunkte waren maschine­ge­tippten Publi­ka­tionen von Pfarrer Heinrich Früh (Club der Berlin-Schach­freunde) und die Regal­reihe mit Gebraucht­bü­chern.

    Das Geschäft existiert noch heute als Buchhandlung aber ohne das Spezi­al­gebiet Schach.

  • Rolf Schmidt - 25. Februar 2015 Antworten

    Hallo Jürgen,
    fragwürdige Argumente und falsche Behaup­tungen werden auch durch ständige Wieder­ho­lungen nicht richtiger. Nochmals (und letztmals) zum mitmeisseln:
    Anlässlich der Feier des 60. Geburts­tages von Rainer Dambach wurde beschlossen, eine Mannschaft aus alten Haudegen zu bilden und in der BMM an den Start gehen zu lassen. Damals u. a. dabei: Thomas Berg und Sigi Weber. Thomas ist in der Saison 1213 in der dritten Klasse (!!) 6x für uns angetreten, in der Saison 1314 in der zweiten klasse 4x. Die Behauptung, er habe mit der Mannschaft nichts zu tun, ist schlicht Unsinn! Dass er inzwi­schen durch seine Doppel­be­lastung als prakti­zie­render Arzt und Betreiber eines Gutshofes mit Obstsaft­pro­duktion leider kaum noch Zeit hat zu spielen, ist bedau­erlich, ändert daran aber nichts!
    Sigi hatte seinerzeit abgewinkt (‘keine Lust mehr auf Schach’), aber wer Sigi kennt....Er hat in der vergan­genheit ca. ein Dutzend mal das Schach­spielen an den Nagel gehängt und genauso oft dann wieder angefangen. Zu Beginn dieser Saison bekundete er auf Nachfrage, wieder Interesse zu haben (aber nur in unserer Mannschaft!). Leider muss auch er des öfteren Sonntags arbeiten und ist nicht regel­mässig verfügbar.
    Einzig Fernando gehört nicht zu dem eingangs erwähnten Kreis. Er wurde wegen der Perso­nal­pro­bleme in den ersten Runden mit ins Boot genommen. Dir ist vielleicht entgangen, dass er schon in der 2. Runde für uns angetreten ist.
    Was habt ihr eigentlich erwartet? Der Tabel­len­erste gegen den zweiten, ein (mögli­cher­weise) vorent­schei­dender Kampf um den Aufstieg! Dass wir abschenken und nicht mit der bestmög­lichen Mannschaft antreten? Dass wäre, auch im Hinblick auf Fried­rich­stadt, die ja ebenfalls noch aufsteigen können, schon eher ‘Wettbe­werbs­ver­zerrung’ gewesen! Wir versuchen immer, die bestmög­liche Mannschaft zu stellen. Und gegen euch hatten wir einfach das Glück, dass Thomas, Sigi und Fernando tatsächlich Zeit hatten und spielen konnten. Alle drei hätten wir liebend gern öfter einge­setzt. That’s it.
    Lass also mal gut sein....ansonsten kommt noch der Verdacht auf, dass Du ein schlechter Verlierer bist.
    Schönen Gruss
    Rolf Schmidt

  • juergen brustkern - 24. Februar 2015 Antworten

    Lieber Fernando, Du bist nicht nur ein guter Photograf,sondern kannst auch so schöne stimmungs­volle Bericht wie oben verfassen(der „Tod der Tradition“ im Schach wird viel zu wenig thematisiert,s.a. Hastings etc.)Solche Berichte fehlen leider nicht nur auf der Tempel­hofer Seite In bezug auf den genannten Mannschaftskampf(SKT-SFB V) kann ich Deine -und die von Siggi und Thomas Berg-Motivation jedoch nicht verstehen!Ihr habt nach meiner Meinung im Grunde nichts mit dem 5.Team zu tuen, und habt Euch trotzdem zu so eine fragwürde „under­cover“ Aktion hineisen lassen...
    Beste Grüsse
    Jürgen

  • Frank Hoppe - 17. Februar 2015 Antworten

    Ich hatte vor ein paar Wochen auch so ein Formular neben mir zu liegen. Als ich des Fehlers gewahr wurde - wahrscheinlich als ich am Ende der Spalte angekommen war - nahm ich mir ein leeres Formular und schrieb nochmal richtig ab, während mein Gegner weiter nachdachte.

    Früher ist mir sowas nicht passiert. Jetzt bin ich aber über 50 und so langsam setzt die Senilität ein. Da vergesse ich schon mal Züge (was mir zum Glück kurz danach immer auffällt) oder schreibe Unsinn ins Formular.

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