Magnus Carlsen, der neue Weltmeister
Er hat es geschafft. Der K.o.-Schlag erfolgte am Donnerstag, die Partie am Freitag: nur noch Formsache.
Erstaunlich ist nicht so sehr, dass Magnus Carlsen Weltmeister geworden ist, der 22-jährige Norweger hatte sich den Kampf und endlich auch den Titel längst verdient. Erstaunlich ist vielmehr, wie Anand aus dem Match flog.
So eine 9. Matchpartie mit Botwinniks Bauernwalze in der 4. Partie, und es wäre ein völlig anderer Kampf geworden. Ganz egal, ob man für Anand ist oder für den neuen Weltmeister – eine Niederlage wie diese hinterlässt einen traurigen Eindruck. Besonders, wenn man sich vor Augen führt, was Anand mit seinen Gegnern zum Beispiel in der Bundesliga anzustellen vermochte.
Die Welt aber blickt nach vorn, und vor uns sehen wir einen strahlenden Magnus. Er ist nicht der Mozart des Schachs, das war Capablanca, auch nicht der Justin Bieber des Schachs, dazu fehlt dem Norweger das Charisma, und um alle Klischees aufzufahren, die demnächst aus allen Rohren zu erwarten sind: Er ist auch kein Pitbull des Schachs.
Magnus Carlsen ist Westeuropäer und gibt sich nicht so exzentrisch wie einst Robert Fischer am Brett. Das Beste, was dem Schach passieren kann, ist er aber nicht. Ein Justin Bieber des Schachs hat hier auch nicht gefehlt, eher ein Miles Davis, John Lennon oder Jimi Hendrix des Schachs vielleicht, möglicherweise auch ein Bob Dylan des Schachs.
Was aber für Carlsen spricht ist seine Jugend, sein Kampfgeist und seine Wikinger-Attitüde. Das ist das Ziel, da gehe ich hin. Erfolg im Schach wird erkämpft. Durch seine norwegische Zurückhaltung bildet er dazu noch eine wunderbare Projektionsfläche für viele. Seine G-Star RAW-Kampagne zeigte dies, die Twitter-Bilder mit den weiblichen Schachspielerinnen, die sich so gern mit ihm fotografieren lassen und die gute Presse auch. Solch jemanden kann man gut bringen, sagt man in der Branche. Die Geschichten drumherum muss man aber erst aufkochen, den Carlsen ist so, wie Norweger eben sind. Und wer so schon mal enger mit Norwegern zu tun hatte, kann bestätigen: die Unterhaltungen sind nicht sprudelnd. Aber da sind sie wieder, die Klischees.
Als Knirps verlor er gegen Garri Kasparow in Rejkjavijk und sagte hinterher: „Ich habe gespielt wie ein Kind“, dieser Moment zeigte mehr Persönlichkeit als die ganze G-Star-RAW-Kampagne zusammen. Nach einer verlorenen Partie gegen Heine Nielsen als 14-jähriger bedrängte ihn ein respektloser, aufdringlicher Reporter. In solchen Momenten zeigt sich Charakter: Dieser war beherrscht, aber auch damals schon sehr selbstbewusst und geerdet.
Hikaru Nakamura bemerkte bereits, nun sei es offenbar an ihm, dem neuen Weltmeister den Titel streitig zu machen. Fabio Caruana, Sergej Karjakin und einige wirklich junge Meister werden ebenfalls ins Feld gerückt.
Die Generation, die den Zusammenbruch der Sowjetunion als Spitzenspieler miterlebte, kämpft nicht mehr um die Krone. Wladimir Kramnik ist ihr letzter Protagonist und spielt weiterhin ganz oben mit, ein ernsthafter Anwärter auf einen weiteren WM-Titel ist er wohl nicht mehr. Wesselin Topalov hatte um 2005 mit Kampfschach begeistert und eine stilprägende Attitüde in seinen Partien vermittelt. Wir aber schauen nach vorn. Magnus Carlsen trägt viel Gutes aus dem Erbe des Schachs in die Zukunft: Die praktische Anlage von Smyslow, den Kampfgeist und die Willensstärke Fischers, die Klarheit Anatoli Karpows und die Zielorientierung Kasparows.
Egal, was Carlsens Titel für das Weltschach bedeutet, ob so ein Weltmeister der Bedeutung des Schachs und dessen Marktwert Auftrieb geben kann oder nicht – was bedeuten solche Aussagen schon? Wir werden es erleben. Jenen aber, die das Spiel lieben, hat der neue Champion viel zu geben.
Update - Am Freitag schrieb Garri Kasparow:
„My congratulations to Magnus for his victory! He continues to shatter the highest expectations with his skill and tenacity. Three cheers! And I know India and Anand’s fans are mourning, but this is also a time to celebrate him as a great champion. He lost but he is not dead!“
Magnus wird gefeiert - ein schönes Video.
Ein Interview mit Rainer Polzin in der Online-Ausgabe der ZEIT.
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