Locker kombiniert - Schachfreunde Neukölln spielen sich ins vordere Mittelfeld

von am 25. September 2001 in ECC 2001, Europapokal

Locker kombiniert - Schachfreunde Neukölln spielen sich ins vordere Mittelfeld

Es gibt Tage, da gelingt einfach alles. In der vierten von sieben Runden kommt es beim Schweizer System in der Regel zur Stand­ort­be­stimmung - ist man oben mit dabei oder reiht sich ein für einen möglichst soliden Abgang. Mit drei Mannschafts­punkten entsprach die Ausgangs­si­tuation der Schach­freunde Neukölln in etwa den Erwar­tungen. Wie Cercle des Echecs Gambit Bonnevoie aus Luxemburg spielten die Berliner am Vortag gegen ein israe­li­sches Team unent­schieden. Die Spieler aus dem kleinsten Benelux-Staat hatten dabei sogar gute Möglich­keiten, ASA Tel Aviv, das mit durch­schnittlich 160 Elo-Punkten vor ihnen platzierte Team, zu schlagen. Entspre­chend ernsthaft gingen die Schach­freunde die Aufgabe an. Die einzige Unbekannte war dabei, ob am Spitzen­brett Elvira Berend spielt. Dies klärte sich nach dem routi­ne­mä­ßigen Vormit­tags­anruf von Otto Borik aus dem vier Kilometer entfernt gelegenen Spiel­er­hotel. Es war diesmal Thomas Pähtz, denn die Frauen­groß­meis­terin ließ ihrem Mann an Brett zwei den Vortritt, da sie auf den mitge­reisten Sohn aufpasste.
Diese Aufstellung sorgte für Erleich­terung bei Stephan Berndt, denn einer­seits hatte er einen Großmeister zum Gegner und anderer­seits war dieser knapp 150 Wertungs­punkte besser einge­stuft wie seine Mannschafts­kol­legin. Entspre­chend motiviert ging das „Küken“ ans Werk: das Remis­an­gebot des Erfurter im 14. Zug wurde ablehnend beschieden und die Ausrichtung des Dreibau­ern­an­griffs im Pirc richtete sich auf den Königs­flügel aus. Mit f5- und h5-Aufzug visierte der Jüngste im Berliner Team die Bloßlegung des schwarzen Königs an. Der Aufmarsch kostete aller­dings - wie üblich - reichlich Bedenkzeit, denn man merkte erneut, dass bei unserem Elo-Stärksten im Sommer der Umzug vom Auslands­studium in Maastricht, Geldver­dienen und Spani­en­urlaub statt Opentur­niere auf dem Programm standen. Anders bei Pähtz, der routi­niert auf taktische Gegen­chancen lauerte. Als es für seinen König brenzlig wurde, kam die Aktion: Die schwarze Dame drang mit Schach auf die Grund­linie und verfolgte die weiße Majestät mit Dauer­schachs. Wie die abend­liche Analyse zwischen griechi­schem Salat und Souflaki ergab, verpasste Stephan recht­zeitig in paradoxer Manier die Dame nicht mit Mattab­sichten beim gegne­ri­schen König zu belassen, sondern auf g3 zum Schutz des eigenen Monarchen zurück­zu­bringen - selbst, wenn eine Fesselung mit dem Läufer drohte. Schade, um die vergebene Chance, aber Auswir­kungen auf das Gesamt­re­sultat hatte dies nicht.

An allen Brettern wirbelten die Haupt­städter: Rainer Polzin setzte auf seine bessere Bauern­struktur gegen Trompowski von Fred Berend, Martin Borriss mixte bereits am spani­schen Königs­sturm gegen Tim Upton, Dirk Poldauf konterte taktisch die Angriffs­ab­sichten von Dmitry Goriachnik, Lars Thiede spielte sein bevor­zugtes Konzept mit g3 und engli­schen Motiven und Henrik Rudolf kassierte frühzeitig einen Bauern ein. Nach 3,5 Stunden ging es Schlag auf Schlag.

Zeitgleich gewannen Borriss und Poldauf. Martin hatte mit e5 und f5 die schwarzen Bauern des Schotten in Luxem­burger Reihen auf ungünstige Grund­li­ni­en­felder getrieben, mit dem Zug Tf4 den Schwenk auf den Königs­flügel vorbe­reitet, um mit einem überra­schenden Damen­ab­tausch das Mattnetz vorzu­be­reiten. Selten standen zwei Türme und zwei Leicht­fi­guren so völlig hilflos neben ihrem König. Das Lächeln in den Neuköllner Gesichter wurde breiter, als Dirk sich zum zweiten Mal hinter­ein­ander durch ein Taktik­la­by­rinth wühlte, mit Dame und Läuferpaar den weißen König bedrängte und zugleich den Weg für den vorge­rückten Bauern auf c3 ebnete.

Die Zeitkon­trolle in den drei verblie­benen Spielen war unpro­ble­ma­tisch. Lars hatte zwar die Qualität weniger, aber es waren alle typischen Manöver gegen den König ohne Bauern­schutz erkennbar - im 43. Zug brach die Stellung logisch zusammen. Henrik eroberte inzwi­schen eine Leicht­figur gegen einen Bauern. Die Abwick­lungen gestaltete sich auch hier einfach. Alle trafen sich auf der sonnigen Analy­se­ve­randa wieder.

Einzig Rainer drückte noch weitere zwei Stunden. Die nicht ganz genaue Vertei­digung des Luxem­burger erleich­terte die Aufgabe. Ein schwarzer Bauer rückte bis f2 und erhielt die Unter­stützung von König und Springer. Die weißen Figuren spielten nicht mehr zusammen. Wieder ein hoher Sieg und ein gutes Brett­punk­te­polster. In Konse­quenz wurden die Schach­freunde gleich noch oben gepaart und erwarten das leicht favori­sierte Team von Alkaloid aus Mazedonien. Mit drei Großmeistern, zwei Inter­na­tio­nalen Meistern und einem Fide-Meister sicher ein zäher Brocken.

Im Rest des Feldes gab es erste Vorent­schei­dungen. Titel­ver­tei­diger Bosna Sarajevo kam gegen Norilsky Nikel mit 1,5:4,5 unter die Räder und St. Petersburg rang die Bosnier aus Kiseljak nieder. Das dritte russische Team, Gazovik, besiegte mit 4:2 die Mannschaft des griechi­schen Ausrichters AO Kydon aus Chania, der zweit­größten Stadt Kretas. Auch andere Favoriten meldeten sich zurück: Polonia Warschau gewann solide 4:2 gegen die Öster­reicher von Hohenems und Beer Sheva fertigte Eupen mit 5,5:0,5 ab. Unter den beiden unent­schiednen Kämpfen an der Spitze dürfte auch Werder Bremen sein. Yannick Pelletier kämpfte zwar mit Minus­figur und einem Bauern weniger um eine Festung, aber das Unter­fangen schien kurz vor 21 Uhr nicht zu gelingen. Bislang hatte gegen die starke Dänen von Helsinge Skakkclub, die nur einen schwe­di­schen Legionäre dabei haben, Gerlef Meins verloren, Zbynek Hracek und Sven Joachim remisiert und Vlastimil Babula und Rainer Knaak gewannen. Das 3:3 besiegelt hatten schon die Ukrainer von Danko Donbass und Merkur Graz. Vier Partien endeten unent­schieden, während der schmächtige Jungstar Ruslan Ponomariov den erfah­renen Alexander Beljawski in einem Endspiel mit jeweils zwei Leicht­fi­guren „ausge­presste“. Henrik Teske glich mit einem gewal­tigen Schluss­an­griff gegen Alexander Schneider am hinteren Brett aus.

Damit ist nur noch Norilsky Nikel verlust­punktfrei mit acht Mannschafts­punkten und 18 Brett­punkten, gefolgt von St. Petersburg und Gazovik, die gleichauf sieben Mannschafts­punkte und 16,5 Brett­punkte bilan­zieren. Nicht nur die Tempe­ra­turen bleiben mit über 30 Grad konstant hoch, sondern auch heiße Kämpfe stehen in den drei Schluss­runden an. Dann werden wir noch mehr aufge­wühlte Spieler über die Gänge huschen sehen. Ex-Fide-Weltmeister Alexander Chalifman, erstmals mit einem Kurzremis gegen Zurab Azmai­pa­raschvili im Einsatz, tigerte stundenlang - lamen­tierend ob der ungenü­genden Leistungen seiner Kollegen - herum. An der dichten Spitze lagen die Nerven schon mal blank und die Neuköllner versuchen weiterhin locker zu kombi­nieren.

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