Irrungen und Wirrungen
Glücklich aber nicht unverdient konnte die 2. Mannschaft der SF Berlin in der Schlussrunde der Oberliga Nord-Ost gegen den Schachclub Weisse Dame gewinnen. Das 5-3 sieht zwar deutlich aus, aber in vielen Partien schwang das Pendel in der Zeitnotphase doch ziemlich hin und her - insbesondere der Berichterstatter weiß ein Lied davon zu singen. Insgesamt glichen sich die gegenseitigen Geschenke aber wohl aus, so dass hiermit unsere „Flügelzange“ Jan Wendt an Brett 1 und Elmar Grosse-Kloenne an Brett 8 mit ihren jeweils souveränen Siegen zu Matchwinnern ernannt werden.
Jan spielte am Spitzenbrett gegen Hans-Joachim Waldmann eine unkonventionelle Variante gegen die Holländische Verteidigung (Lg5xf6 nebst Sc3 und e4). Als neben dem schlechten weißfeldrigen Läufer und einer zerrütteten Königsstellung auch noch ein Minusbauer hinzu kam, war die schwarze Stellung nicht mehr lange zu halten.
Elmar verteidigte sich mit der Igel-Variante. Probleme hatte er nie. Langsam konnte er selber Druck erzeugen. Aber vor allem auf der Uhr hatte er immensen Vorteil. Wie er ihn konkret verwirklicht hat, habe ich nicht mitbekommen.
„Seriöse“ Partien lieferten auch Sigi Weber an Brett 3 gegen Cord Wischhoefer und Rauno Jarvinnen an Brett 7 gegen Alexander Kysucan ab, die mehr oder weniger schnell Remis endeten.
Kommen wir nun zu den jugendgefährdenden Partien, die nach diversen Glücksspielparagraphen eigentlich nicht veröffentlicht werden dürften.
An Brett 5 zwischen Stefan Brettschneider und Ingo Abraham kam es zu einem Damenendspiel mit jeweils 5 Bauern. So ziemlich jeder passive Zug von Schwarz hätte die Partie remis gehalten. Ingo wollte aber aktiv spielen und berechnete eine zweizügige Dauerschachvariante mit Bauernopfer. Das Problem: der zweite Zug sollte Da1-f4+ sein! Ein klassischer Blackout. Wie sagte Bretti nach der Partie: Immer, wenn seine Stellungen ausgeglichen waren, hat er gewonnen. Als er seiner Meinung einmal gut stand, hat er verloren. Zum Glück stand er diese Saison nur einmal gut. Mit 7 aus 8 eine Riesensaison für Stefan.
Den geschenkten halben Punkt lieferte Robert Glantz an Brett zwei gegen Hendrik Moeller aber gleich wieder ab. In einer Fianchetto-Variante des Königsinders stand Robert im damenlosen Mittelspiel ziemlich bequem, in Zeitnot stellte er aber die Partie ein.
Gut bis sehr gut stand auch Christian Kurz gegen Thorsten Gross. Wie genau es zur Null kam, kann ich nicht sagen, da ich mit meiner eigenen Katastrophe beschäftigt war.
Gegen Kai-Gerrit Venske kam es bereits in der Eröffnung zu einem „Psycho-Duell“. In über 95% der in Datenbanken auffindbaren Partien spielt Kai 1.e4. In den seltenen Ausnahmen kam es zu einer Art von Damenbauernspiel (Trompovsky, Weresow-Angriff). Und gegen 1....e5 (mein Stammzug) kommt es zu 99% zum Königsgambit! Nun wird ihn mein Auftauchen am 4. Brett überrascht haben (Joachim Wintzer und Jan Lundin konnten nicht spielen) und wahrscheinlich fürchtete er (zu Recht) eine besondere Vorbereitung. Also 1.d4!
Als Gegenmaßnahme hatte ich mir aber meinen alten Zug 1...d5 zurecht gelegt, gegen den die Damenbauernspiele deutlich weniger Biss haben als gegen 1... Sf6. Doch dann zu meiner Überraschung 2.c4! Im Endeffekt landeten wir in der Meraner Variante des Slawischen Damengambits - damit hatten wir vorher wohl beide nicht gerechnet.
Es entstand ein ziemlich scharfes Mittelspiel, das wir beide völlig unterschiedlich eingeschätzt hatten. Ich war der Meinung, den weißen Angriff zurückzuschlagen und dann Vorteil zu haben, Kai dachte, sein Angriff würde durchschlagen. Ein sofortiges Läuferopfer auf g6 hätte auch nicht durchgeschlagen. Der „Zwischenzug“ Lf5 gab mir aber die Chance, fehlzugreifen, welche ich auch sofort ergriff! Den angegriffenen und gefesselten Springer auf d7 konnte ich mit Tc7 oder Td8 decken. Aus „allgemeine Erwägungen“ zog ich Tc7, um gleichzeitig auch die 7. Reihe zu verteidigen.
Dummerweise ging nun Lxg6, weil in einer entscheidenden Variante mein Turm auf e8 nun nicht mehr gedeckt war. (Zur Vollständigkeit: nach Td8 kommt es zum Generalabtausch, nach dem Weiß mit präzisem Spiel die Stellung im Gleichgewicht halten kann.) Plötzlich hatte ich einen Bauern weniger und der Angriff ging weiter. Ein zweiter Bauer folgte, dafür konnte ich die Damen tauschen. Dann begann das Gezocke.
Mit einem Qualitätsopfer zerstörte ich (teilweise) die weiße Bauernstruktur, aktivierte mein Läuferpaar und drohte einen mächtigen Freibauern zu schaffen. Kai wählte die sichere Methode, gab die Qualtiät zurück und verblieb mit zwei Mehrbauern, die meine aktiveren Figuren auch nicht annährend kompensierten. Das Drama dann im 39. Zug. Vor einer Ruine sitzend suchte ich verzweifelt nach irgendwelchen letzten Mogelchancen, als ich aus den Augenwinkeln gewahr wurde, dass ich nur noch 3 Sekunden auf der Uhr hatte . Schnell Td3 aufs Brett geworfen und hoffen, dass da noch irgendwas geht.
Was ging, war die Uhr von Kai. Obwohl doch Txd3 der einzige Zug ist, versuchte er wohl das entstehende Leichtfigurenendspiel exakt durchzurechnen. Erst bei gefühlten 0,5 Restsekunden bemerkte er die Uhr und schaffte es nicht mehr, den Zug auszuführen. Zeitüberschreitung in Gewinnstellung in Zeiten des Increment kommt auch selten vor.
Hier das Drama zum Nachspielen:
Mit 10 Mannschaftspunkten landeten die Schachfreunde damit auf dem 5. Platz der Oberliga. Nachdem es zu Beginn nach einem Dreikampf mit Kreuzberg und Rüderdorf um den Aufstieg aussah, ging es nach den Niederlagen im direkten Vergleich noch fast gegen den Abstieg. Im Endeffekt eine durchwachsenen Saison.
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