Null gegen Navara:
Plötzlicher Druckabfall in Wijk aan Zee
Beim Tata Steel Turnier in Wijk aan Zee ist es kurz Schluss noch einmal zu heftigen Turbulenzen beim geplanten Landeanflug gekommen. Levon Aronian verliert gegen den Tabellenletzten David Navara und Magnus Carlsen gewinnt eine Stellung gegen Wesselin Topalov, die objektiv verloren war. Aronian führt noch mit einem halben Punkt Vorsprung, sein direktester Verfolger Wassili Iwantschuk musste heute Federn lassen. Doch Carlsen ist jetzt wieder prächtig im Spiel. Es bleibt bis auf die letzte Minute spannend.
„Today is a very strange round“
– Wladimir Kramnik, 27. 1. 2012, Wijk aan Zee –
Es ist ein bisschen so wie mit dem FC Barcelona: erst einmal in Führung, pennen die Katalanen gern einmal weg. So gab es schon 3:4-Niederlagen nach 3:1-Führungen in der 53. Minute (alles schon erlebt) und erst am Mittwoch war zu bestaunen, wie Xavi, Iniesta und Messi nach einer 2:0-Führung gegen Real Madrid noch zwei Dinger kassieren. Dass Özil den Lattenknaller nicht verwandelte, war dabei noch das Glück der Kurzpass-Künstler.
Levon Aronian hat offenbar die Aufmerksamkeitsspanne etwas schleifen lassen, denn mit Weiß gegen David Navara, der zwar ein ausgezeichneter Spieler ist (Elo 2712 gibt’s nicht am Kiosk), in Wijk bislang jedoch außer Form spielte, diese Partie also in dieser Art wegzugeben, das stimmt etwas wehmütig. Über die Hintergründe lässt sich nur spekulieren: Übermotivation des einen? Besondere Motivation des anderen? Vorbereitungspech? In Gedanken schon in der nächsten Runde? Levon ist Profi genug, all diese Fährnisse sind ihm geläufig, und er stünde nicht dort, wo er jetzt ist, nämlich weit über den Wolken. Doch was ist passiert?
Levon Aronian - David Navara, Tata Steel (11) - Wijk aan Zee, 27. 1. 2012
Kommentar: Jan Wendt
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Zunächst sah es so aus, als würde auch Magnus Carlsen eine Niederlage kassieren. Gegen Wesselin Topalov überzog die Nummer eins der Weltrangliste kräftig, aber die Stellung war auch für Spieler jenseits der 2770 schwer zu überblicken. Computer brauchen ein paar Sekündchen, aber Menschen können bei einem derartigen Ungleichgewicht ganz schnell abrutschen, auch wenn sie im Vorteil sind. Beide kreisen in einem Orbit, wo die Höhenluft dünn ist. Sie stellten sich Probleme, bei denen man als Mensch leicht ins Straucheln kommt, und dabei nehmen sie ein enormes Risiko in Kauf. Genau richtig für eine Partie zwischen zwei unerschrockenen Weltklassespielern.
Als Carlsen ausglich, begnügte er sich nicht etwa mit einem Remis: Wie der junge Kamsky oder frühe Karpow legte er erst dann erst so richtig los und Topalov ging so langsam die Puste aus. Mit wenig Risiko begann der Norweger immer weiter zu drücken, bis es für Schwarz dann schließlich zu viel wurde.
Magnus Carlsen - Wesselin Topalov, Tata Steel (11) – Wijk aan Zee, 27. 1. 2012
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Damit ist Carlsen (7) mit einer besonderen Energieleistung wieder auf einen halben Punkt an Levon (7,5) herangerückt. Auch Radjabow hat sieben Punkte.
Restprogramm Levon Aronian: Gelfand mit Schwarz, Radjabow mit Weiß
Restprogramm Magnus Carlsen: Kamsky mit Weiß, Van Wely mit Schwarz
Nachbetrachtung: Computer-Kybernetik wird unseren Metaphernschatz entweder bereichern oder einschränken, je nach dem. Ausdrücke wie „Fritz meint ‘+2’’ “ oder „Das ist irgendwas zwischen 1.3 und 1.6 für zwei Bauern“ werden schon jetzt verwendet. Den Verlauf von Partien kann man jetzt auch grafisch ausdrücken. Grün ist Vorteilpegel Weiß. Schlägt es für Rot aus, sieht der Computer Schwarz im Vorteil. Die Zeitachse ist klar. Links ist der erste Zug, rechts das Partie-Ende.
Was sonst noch geschah:
Vier schwarze Siege bei sieben Partien in Gruppe A, die beiden US-Stars Kamsky und Nakamura spielten Remis - und: Wladimir Kramnik war zu Besuch! Der Gewinner der London Chess Classics sagte, er könne es genießen, mal dabei zu sein, ohne antreten zu müssen. Außerdem sei er nächstes Jahr ganz bestimmt mit von der Partie. Und: es soll nach bislang unbestätigten Gerüchten ein Match mit Levon Aronian geben. Im April.
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