Marco Thinius über Schach und Musik
Erschienen am 2. September 2006 im „Neuen Deutschland“
„Mozart ist der Kasparow der Musik“
Marco Thinius brilliert als Solist am Fagott und am Brett als Internationaler (Schach-)Meister
„Schach und Musik“ lautet das Motto der aktuellen Ausstellung in der Emanuel Lasker-Gesellschaft in Berlin. In der Person von Marco Thinius wird es auf den Punkt gebracht. Der 38-jährige trägt den Titel eines Internationalen Meisters (ELO 2370) und spielt gleichzeitig das Solofagott in der Staatskapelle Weimar. Mit ihm sprach René Gralla.
ND: Musik ist sinnlich, Schach ist kühl und mathematisch. Herr Thinius, Sie brillieren hier und dort. Wie passt das zusammen?
Thinius: Ich sehe da für mich gar keinen Gegensatz. Schach weist künstlerische Elemente auf. Gleichzeitig findet die sportliche Seite, die beim Turnierschach im Vordergrund steht, ihre Entsprechung in der Musik.
Musik ist auch Sport?!
Zumindest ist sie geprägt vom Wettkampfgedanken; schließlich messen sich Instrumentalisten regelmäßig in Wettbewerben. Denken Sie außerdem an den allgemeinen Wettbewerb um freie Orchesterstellen, der extrem hart ist. Für eine solche wetteifern musizierend je nach Instrument zwischen 50 und 200 Leute.
Man muss also hier wie dort hart und ausdauernd trainieren.
Die konkreten zeitlichen Abläufe mögen sich unterscheiden. Im Ergebnis verlangt aber die Beschäftigung mit der Musik einerseits und das Schachtraining andererseits extrem viel Zeit und Energie.
Zumal Ihr Orchesterpart als Solofagottist allein schon deswegen Sport ist, weil Sie dafür reichlich Puste benötigen.
Da wird Musik tatsächlich zu einer körperlichen Angelegenheit.
Ein Musiker muss ständig an sich arbeiten, das Gleiche gilt für einen Schachspieler. Wie können Sie das koordinieren?
Musik und Schach nehmen einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch. Für andere Dinge bleibt wenig Raum.
Wie viele Stunden am Tag reservieren Sie für Schach?
Acht Stunden am Stück vor dem Brett oder dem Computer sind natürlich unvorstellbar. Im Grunde bin ich deswegen eher ein Freizeitspieler, obwohl ich dennoch ein recht gutes Niveau erreicht habe.
Treten Sie in Punktspielen für einen Verein an?
Ja, in der Bundesligamannschaft der Schachfreunde Berlin.
Saisonstart ist im Oktober. Wie lautet Ihr Saisonziel?
Klassenerhalt. Denn wir sind realistisch und wissen, dass uns ein harter Kampf gegen den Abstieg bevorsteht.
Nun zur von Ihnen eingangs erwähnten künstlerischen Seite des Schachsports.
Ich verweise auf einen Satz von Siegbert Tarrasch, der zum Spiel das Standardwerk schlechthin verfasst hat: Schach habe wie Liebe und Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.
Manche Spitzenkräfte im Schach waren und sind berühmte Musiker. Mark Taimanow, WM-Kandidat im Jahr 1971, verzauberte die Fans am Klavier ...
Die Liste lässt sich fortsetzen, ich nenne den ehemaligen Weltmeister Wassili Smyslow, einen Opernsänger. Allerdings sind das Ausnahmetalente; eigentlich ist es nämlich fast undenkbar, Schach und Musik gleichzeitig auf höchstem Niveau zu pflegen.
Immerhin kennt die Schachgeschichte eine Doppelbegabung wie Philidor. Der französische Opernkomponist galt von 1745 bis 1795 als inoffizieller Weltmeister.
Das ist aber auch nur möglich gewesen unter den Bedingungen des 18. Jahrhunderts. Damals war Philidor überhaupt der erste, der die Strategie im Schach systematisch und wissenschaftlich untersucht hat. Vor Philidor agierten die Kontrahenten während einer Partie eher aus dem Bauch heraus. Interessant ist übrigens, dass Philidor von den Zeitgenossen vor allem als Komponist wahrgenommen wurde. Heute werden Philidors Opern selten aufgeführt; wir kennen den Meister in erster Linie als Schachtheoretiker.
Nicht nur Klassiker spielen Schach, sondern auch Popstars: der US-Rapper Will Smith und der deutsche HipHopper Smudo, der Ex-Beatle Ringo Starr, Sting oder die Finnen-Rocker von HIM ...
Im Schach und in der Musik sind Sie schöpferisch tätig; die innere Verwandtschaft ist unbestreitbar. Klassik, Pop, Rock oder HipHop ist da egal.
Ihr Lieblingskomponist ist Mozart. Warum?
Mozart zählt zu den außergewöhnlichen und geradezu göttlichen Persönlichkeiten, die man einfach lieben muss. Er ist so herausragend wie Garri Kasparow im Schach.
Die Emanuel Lasker-Gesellschaft Berlin zeigt momentan die Ausstellung „Schach und Musik“. Haben Sie die Schau besucht?
Bisher leider nicht. Ich hoffe aber, dass ich dafür noch eine Gelegenheit finde.
„Schach und Musik“, Ausstellung in der Berliner Emanuel Lasker-Gesellschaft (bis 30.09.) Leuschnerdamm 31, 10999 Berlin; Besuch nach telefonischer Anmeldung unter (030) 616 84 130.
Marco Thinius live: Oper „Hochzeit des Figaro“, Deutsches Nationaltheater Weimar, Sonntag, 10.09. 19 Uhr; Theaterkasse: (03643) 755 334.
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