Marco Thinius über Schach und Musik

von am 23. Oktober 2006 in Planet Schach

Erschienen am 2. September 2006 im „Neuen Deutschland“

Mozart ist der Kasparow der Musik“

Marco Thinius brilliert als Solist am Fagott und am Brett als Internationaler (Schach-)Meister

Schach und Musik“ lautet das Motto der aktuellen Ausstellung in der Emanuel Lasker-Gesell­schaft in Berlin. In der Person von Marco Thinius wird es auf den Punkt gebracht. Der 38-jährige trägt den Titel eines Inter­na­tio­nalen Meisters (ELO 2370) und spielt gleich­zeitig das Solof­agott in der Staats­ka­pelle Weimar. Mit ihm sprach René Gralla.

ND: Musik ist sinnlich, Schach ist kühl und mathe­ma­tisch. Herr Thinius, Sie brillieren hier und dort. Wie passt das zusammen?
Thinius: Ich sehe da für mich gar keinen Gegensatz. Schach weist künst­le­rische Elemente auf. Gleich­zeitig findet die sport­liche Seite, die beim Turnier­schach im Vorder­grund steht, ihre Entspre­chung in der Musik.

Musik ist auch Sport?!
Zumindest ist sie geprägt vom Wettkampf­ge­danken; schließlich messen sich Instru­men­ta­listen regel­mäßig in Wettbe­werben. Denken Sie außerdem an den allge­meinen Wettbewerb um freie Orches­ter­stellen, der extrem hart ist. Für eine solche wetteifern musizierend je nach Instrument zwischen 50 und 200 Leute.

Man muss also hier wie dort hart und ausdauernd trainieren.
Die konkreten zeitlichen Abläufe mögen sich unter­scheiden. Im Ergebnis verlangt aber die Beschäf­tigung mit der Musik einer­seits und das Schach­training anderer­seits extrem viel Zeit und Energie.

Zumal Ihr Orches­terpart als Solof­agottist allein schon deswegen Sport ist, weil Sie dafür reichlich Puste benötigen.
Da wird Musik tatsächlich zu einer körper­lichen Angele­genheit.

Ein Musiker muss ständig an sich arbeiten, das Gleiche gilt für einen Schach­spieler. Wie können Sie das koordi­nieren?
Musik und Schach nehmen einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch. Für andere Dinge bleibt wenig Raum.

Wie viele Stunden am Tag reser­vieren Sie für Schach?
Acht Stunden am Stück vor dem Brett oder dem Computer sind natürlich unvor­stellbar. Im Grunde bin ich deswegen eher ein Freizeit­spieler, obwohl ich dennoch ein recht gutes Niveau erreicht habe.

Treten Sie in Punkt­spielen für einen Verein an?
Ja, in der Bundes­li­ga­mann­schaft der Schach­freunde Berlin.

Saison­start ist im Oktober. Wie lautet Ihr Saisonziel?
Klassen­erhalt. Denn wir sind realis­tisch und wissen, dass uns ein harter Kampf gegen den Abstieg bevor­steht.

Nun zur von Ihnen eingangs erwähnten künst­le­ri­schen Seite des Schach­s­ports.
Ich verweise auf einen Satz von Siegbert Tarrasch, der zum Spiel das Standardwerk schlechthin verfasst hat: Schach habe wie Liebe und Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.

Manche Spitzen­kräfte im Schach waren und sind berühmte Musiker. Mark Taimanow, WM-Kandidat im Jahr 1971, verzau­berte die Fans am Klavier ...
Die Liste lässt sich fortsetzen, ich nenne den ehema­ligen Weltmeister Wassili Smyslow, einen Opern­sänger. Aller­dings sind das Ausnah­me­ta­lente; eigentlich ist es nämlich fast undenkbar, Schach und Musik gleich­zeitig auf höchstem Niveau zu pflegen.

Immerhin kennt die Schach­ge­schichte eine Doppel­be­gabung wie Philidor. Der franzö­sische Opern­kom­ponist galt von 1745 bis 1795 als inoffi­zi­eller Weltmeister.
Das ist aber auch nur möglich gewesen unter den Bedin­gungen des 18. Jahrhun­derts. Damals war Philidor überhaupt der erste, der die Strategie im Schach syste­ma­tisch und wissen­schaftlich unter­sucht hat. Vor Philidor agierten die Kontra­henten während einer Partie eher aus dem Bauch heraus. Inter­essant ist übrigens, dass Philidor von den Zeitge­nossen vor allem als Komponist wahrge­nommen wurde. Heute werden Philidors Opern selten aufge­führt; wir kennen den Meister in erster Linie als Schach­theo­re­tiker.

Nicht nur Klassiker spielen Schach, sondern auch Popstars: der US-Rapper Will Smith und der deutsche HipHopper Smudo, der Ex-Beatle Ringo Starr, Sting oder die Finnen-Rocker von HIM ...
Im Schach und in der Musik sind Sie schöp­fe­risch tätig; die innere Verwandt­schaft ist unbestreitbar. Klassik, Pop, Rock oder HipHop ist da egal.

Ihr Lieblings­kom­ponist ist Mozart. Warum?
Mozart zählt zu den außer­ge­wöhn­lichen und geradezu göttlichen Persön­lich­keiten, die man einfach lieben muss. Er ist so heraus­ragend wie Garri Kasparow im Schach.

Die Emanuel Lasker-Gesell­schaft Berlin zeigt momentan die Ausstellung „Schach und Musik“. Haben Sie die Schau besucht?
Bisher leider nicht. Ich hoffe aber, dass ich dafür noch eine Gelegenheit finde.

Schach und Musik“, Ausstellung in der Berliner Emanuel Lasker-Gesell­schaft (bis 30.09.) Leusch­nerdamm 31, 10999 Berlin; Besuch nach telefo­ni­scher Anmeldung unter (030) 616 84 130.

Marco Thinius live: Oper „Hochzeit des Figaro“, Deutsches Natio­nal­theater Weimar, Sonntag, 10.09. 19 Uhr; Theater­kasse: (03643) 755 334.

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