Sommerpause beginnt versöhnlich
Die heurige Bundesliga-Saison der Schachfreunde stand im Zeichen verpasster Gelegenheiten, unerklärlicher Aussetzer und herzzerreißender Dramen. So dauerte es trotz des Rückzugs von DJK Aachen diesmal bis Ende März, bis der Klassenerhalt feststand. Das Wochenende gegen Hamburg und Kiel war die letzte Gelegenheit, die Saison noch versöhnlich abzuschließen und keinen Frust in die Sommerpause mitzunehmen. In beiden Matches trafen sich ungefähr ebenbürtige Mannschaften; somit war Spannung garantiert.
Turm Kiel – SF Berlin 4 - 4
Die Freie und Hansestadt Hamburg, nicht gerade als Eldorado für Sonnenanbeter bekannt, empfing uns zum Bundesliga-Ausklang mit strahlendem Frühlingswetter. Passend dazu lag unser Hotel in einer grünen Gegend inmitten diverser Kanälen und Parks. Gerüchten zufolge genoss der eine oder andere Berliner Spieler auch nach 12 Uhr einen Cappuccino am Wasser und lagerte die Vorbereitung an Dr. Marco Baldauf in München aus. Der Eröffnungstherapeut, dem die Schachmeister vertrauen.
Das Match gegen Kiel begann ziemlich ruhig. Viele Schachfreunde (und ihre Gegner) frönten dem gesunden positionellen Spiel, so dass die Entscheidungen in die vierte und fünfte Stunde vertagt wurden. Oder man schloss direkt Frieden. Dafür entschieden sich Kacper, der gegen Ivan Salgado nichts rausgeholt hatte, und Jacek, der gegen Igor Khenkin etwas schlechter stand und keinen Grund hatte, das pünktlich zum 20. Zug abgegebene Remisangebot abzulehnen.
In drei Partien ging es schnell zur Sache: In Dennes’ b6-Halbslawen war irgendwas schiefgelaufen und Weiß öffnete mit e3-e4 unter Bauernopfer die Linien gegen den schwarzen König. In weniger als 30 Zügen war die Partie vorbei; somit 2-1 für Kiel. Schade für Dennes, dass er seine brillante Form aus Gibraltar nicht in die Bundesliga mitnehmen konnte. Allerdings hatte auf Kieler Seite auch Artur Jakubiec in einem Leningrader mit vertauschten Farben den Faden verloren. Mein e-Bauer schlug sich im Mittelspiel unbedrängt von e7 nach e2 durch, mit anstehender Umwandlung: Punkt für Schwarz und 2-2 im Mannschaftskampf.
Die dritte von Beginn an spektakuläre Partie war das polnische Derby an Brett zwei. Wojteks Gegner (Marcin Dziuba) opferte nach einem Bauern auch noch eine Figur (13. Sxf7!?), gewann beides zurück, ließ aber in Zeitnot den Gewinn aus: remis.
Die verbliebenen Stellungen gaben Anlass zu Optimismus: Peter stand leicht besser gegen Jonny Hector, Felix deutlich besser gegen Carsten Hoi und Alex hatte seinen Gegner mit Schwarz nach allen Regeln der Kunst überspielt. Die ideale Ausgangsposition für einen knappen, aber letztlich ungefährdeten Sieg.
Ich lief mit Wojtek und Kacper nach Hause, gab meine Partie in den Computer ein und fiel fast vom Stuhl, als ich den Zwischenstand sah. 3,5-2,5 für Kiel??? Eingabefehler? Oder doch Einsteller? Nicht schon wieder…
Es war leider kein Eingabefehler. Was war passiert? Alex hatte im 42. Zug den forcierten Gewinn ausgelassen (42. ...Sg4+!) und danach das Umschalten vergessen. Nach zweimaliger Stellungswiederholung wollte er sich nicht ins Remis fügen und übersah dabei einen kleinen Trick. Es war sofort aus: 1-0 und erneute Führung für Kiel.
Nun lag enorm viel Druck auf unseren beiden Ösis, aber sie meisterten die schwierige Aufgabe bravourös. Zwar reichte es bei Peter letztlich nicht zum Sieg, aber Felix brachte seinen Endspielvorteil souverän nach Hause und sicherte zumindest das 4-4-Unentschieden. Zu spät allerdings, um im polnischen Restaurant, das ich in der Zwischenzeit ausgesucht hatte, noch etwas zu essen zu bekommen.
SF Berlin - Hamburger SK 4,5 - 3,5
Nach ausgiebiger Vorbereitung am Vorabend saß ich morgens entspannt beim Frühstück, als die Meldung eintraf, dass Hamburg an den vorderen Brettern gewechselt hatte. Mein mutmaßlicher Gegner Jonas Lampert würde nicht spielen; für ihn rutschte Dorian Rogozenko ins Team. Damit hatte ich nicht gerechnet und mir daher auch nicht die Mühe gemacht, morgens nach dem Aufstehen die Aufstellungen zu prüfen. Statt einem ruhigen Spanier mit Lc5 (Möller/Archangelsk) also ein scharfer Najdorf gegen Lubomir Ftacnik. Und das am frühen Morgen!
Da es nur noch eine halbe Stunde bis zur Partie war, fand die Vorbereitung im Taxi statt---mit dem Laptop auf dem Schoß und unter gelegentlichen Zwischenrufen des Beifahrers: Alexander Seyb, Professor für Najdorfkunde. Leider konnte ich mit den Verweisen auf die einschlägige Fachliteratur (“in der Variante X gibt es die wichtigen Partien A-B, C-D und E-F”) wenig anfangen. Auch Felix befragte seinen elektronischen Freund während der Fahrt. Der Taxifahrer murmelte irgendwas von “programmieren” (lautes Gelächter) und war nach Ablauf der Fahrt um eine weitere Anekdote mit seltsamen Gestalten reicher.
Die auf das Wesentliche komprimierte Vorbereitung schadete uns nicht: Felix erlangte Vorteil gegen Rogozenkos Philidor und ich erreichte im h3-Najdorf gegen Lubomir Ftacnik eine interessante Stellung mit beiderseitigen Chancen. Im 23. Zug hatte ich die Gelegenheit, einen Läufer unter Figurenopfer auf e6 einzupflanzen. Objektiv blieb die Stellung danach unklar, aber der “Schreck” (O-Ton) fuhr Ftacnik so in die Glieder, dass er---bereits in Zeitnot befindlich---einen Zug später fehlgriff und eine Verluststellung erhielt. 1-0 für die Schachfreunde. Vielleicht etwas glücklich, aber den Mutigen...
An Brett eins, zwei und fünf trennte man sich remis. Kacper stand kritisch und hatte Glück, dass Rasmus Svane eine Remiskombination übersah. Dagegen hatten die Weißspieler an Brett zwei und fünf (unser Wojtek und Hamburgs Thies Heinemann) ihre Partien betont solide angelegt. Während Wojtek seinem Gegner noch etwas Genauigkeit abverlangte, hatte Peter gegen Thies keinerlei Mühe auszugleichen. Irgendwer sollte Thies mal erklären, dass “spanischer Angriffsläufer” sich nicht auf den Springer c6 bezieht. Und ihm vorschlagen den Läufer nach a4 zurückzuziehen anstelle besagtes Sprungtier in den Orkus zu befördern. Die Partien werden dann unterhaltsamer und ich habe mehr zu schreiben.
Auch Sune Berg Hansen versteht etwas von Solidität: gegen Jacek spielte er 1. Sf3 Sf6 2. g3. Als Jacek daraufhin “verbessertes Polnisch” auf die Bretter stellte---das unternehmungslustige 2. ...b5!?---federte er diesen Ausfall sofort mit 3. c3 ab. Ja, so kann man spielen. Muss man aber nicht. Auch in der Folge machte Weiß keinerlei Anstalten, den frühzeitigen schwarzen Vorstoß auszubeuten. Schwarz glich komfortabel aus, Weiß fianchettierte den Springer auf g2, Schwarz spielte b5-b4, Weiß spielte die Figuren etwas hin und her, Schwarz gewann einen Bauern, Weiß opferte eine Figur, Schwarz nahm die Figur, Weiß gab auf. Nun ja. Zugegebenermaßen aber eine starke Partie von Jacek.
An den hinteren Brettern schlug Hamburg zurück. Emil duellierte sich mit Dirk Sebastian in einer königsindischen Struktur ohne weißfeldrige Läufer (entstanden aus der verbesserten Steinitz-Variante der spanischen Partie). Trotz zwischenzeitlicher Turbulenzen fand Sebastian viele starke Züge und fuhr den Punkt letztlich überzeugend ein. Auch Alex sah an Brett sieben wenig Land gegen Luis Engel, der eine gute Partie spielte und seine GM-Norm hiermit endgültig sicherstellte. Ich war übrigens überrascht, dass eine anerkannte Najdorf-Koryphäe wie Alex zu einer dubiosen Eröffnung wie Pirc griff. Auch Professoren wollen sich anscheinend gerne außerhalb ihres Fachgebiets beweisen!
Erneut lag das Schicksal des Kampfes somit in den Händen von Felix, dessen Debütsaison bereits vor dieser Partie die Erwartungen übertraf. Es glückte ihm seinen Vorteil zu verdichten und ein Schwerfigurenendspiel mit zwei Mehrbauern in ein Damenendspiel mit fünf (!) Mehrbauern zu transformieren. Dorian Rogozenco brauchte einige Zeit, bis er den Aufgabe-Knopf fand, aber es stand nun mal 3,5-3,5 und manchmal passieren ja Zeichen und Wunder (wie Paul Hoffmanns Zeitüberschreitung mit Dame gegen Turm am Vortag). Nachteil der Verzögerung war, dass ich die Siegesfeier noch vor dem Essen fluchtartig verlassen musste, um einen Zug in die alte Heimat Köln zu erwischen. Wobei die griechische Effizienz in der Küche einen größeren Anteil an diesem Debakel hatte.
Wie dem auch sei: 4,5-3,5 für die Schachfreunde und endlich mal wieder ein Sieg gegen eine gleichwertige oder höher eingeschätzte Mannschaft. Ende gut, alles gut. Neunter Platz, Saison beendet, Landesliga abgewendet. Wenn auch in Zukunft unvermeidbar, sofern nicht mit 2800ern nachgerüstet wird. Mein Name ist Jan Sprenger, ich verabschiede mich in die Sommerpause und gebe zurück ins Studio, bleiben Sie uns gewogen, schönen Urlaub, do widzenia und auf Wiedersehen im nächsten Jahr.
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