Bye bye, Elektroschach
Vorgestern beim Auswärtsspiel in den Räumen des SK Tempelhof: Alles klarmachen für die fünfte Runde gegen den Aufstiegskonkurrenten, Platz nehmen am Brett, Stift zücken und das Partieformular vorbereiten. Doch da geschieht’s: Das Blatt kurbelt die Zeit zurück. Mit einem Mal ist Elektroschach, Laden für alles, was Schachspieler die Geldbörsen zücken lässt, wieder auferstanden. Dabei hatten die Ketterlings den Laden doch erst im Dezember geschlossen.
Bei Marcel Proust ruft der Duft eines bestimmten Gebäcks die Erinnerung wach. Der Erzähler von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ tunkt die Madeleine in den Tee, und mit einem Mal taucht eine längst vergessen geglaubte Erinnerung an ein vergangenes Zeitalter wieder auf (siehe auch hier).
In meinem Falle betrachtete ich vor der Partie das Formular und ließ mich derart von den Erinnerungen an die Pilgerfahrten in die Dudenstraße mitnehmen, dass ich ganz vergaß, wie man die Züge eigentlich notiert (siehe Formular in der Mitte: zu weit in den Spalten).
Die Informatoren gingen gut, erzählte Heide Ketterling am Sonntag. Sie kamen direkt von Rattmann aus Hamburg (auch so ein Name, den nicht mehr viele kennen). Meist schon am Tag nach der Bestellung. Anfangs lief das Geschäft noch nicht so gut, aber dann, Mitte der Achtziger, ging es flott aufwärts – in dieser Zeit brummte das Schachleben in Berlin (West): Kreuzberg, Lasker Steglitz und Zehlendorf spielten in der ersten Schachbundesliga mit Namen wie Nunn, King, Conquest, Pritchett, den Gebrüdern Greszik. Legendär die nächtelangen Blitzduelle von Frank Dietze gegen Dietmar Lingemann (räumt heute gern als Mann der Grünen bei Politiker-Turnieren ab). Eine ausgedehnte Kneipentour zu Silvester mit Panagiotis Cladouras, Daniel Holzapfel, Lucas Brunner und Herrn Kühn. Michail Tal beim SK Zehlendorf. Willi Kanonenberg. Nächte im Belmont oder mit Bulti und Herbert Kautschmann in der Lietzenburger, Blitzuhr hatten wir dabei, Figuren waren dort. Ellen Kybernetik beim SK Zehlendorf, dessen schönes Frauenteam und Bultis schöne Gesellschaftskolumne in der Clubzeitung.
Wer wissen wollte, was denn nun mit dem letzten Schrei in der Najdorf-Hauptvariante (damals gab es nur eine: B99) ist, musste zu Zeitschriften greifen. Titel wie das „Schachmagazin 64“ waren damals Pflichtlektüre. Von Rattmann gab es Lose-Blatt-Publikationen. Bei Ketterling gab’s das alles. Wie hieß der Laden in der Potsdamer Straße nochmal? Und hatte Arno Nickel schon seinen Laden?
Der Markt für schachspielende Möbelstücke (also Schachcomputer) brummte. Damals konnten die nett angefertigten Dinger bei den Ketterlings im Laden ausprobiert werden. Da lungerte schon mal der eine oder andere am Brett herum. In Lübeck habe ich mal gegen so ein Ding in der Kneipe „Uhlenbusch“ mal auf Zeit gewonnen. Später trieb Garri Kasparov als Star-Kunde die Entwicklung von ChessBase voran, das auf Disketten vertrieben wurde. Die spielenden Möbelstücke wurden verdrängt, der Weltmarktführer machte sich Platz. Gab’s aber auch in der Dudenstraße zu kaufen.
Noch in den letzten Jahren kam ich immer wieder in den Laden. Manchmal, um die neueste Ausgabe des „New in Chess“-Magazins zu kaufen, manchmal, um nach einer Botwinnik-Partiensammlung zu suchen oder die mechanische Schachuhr reparieren zu lassen (kostete meist einen Zehner) oder um einfach nur irgendwas Überaschendes und Nettes zu finden (zuletzt eine Sammlung von Smyslow-Partien).
Die Ketterlings sind Weihnachten in Rente gegangen. Am Sonntag waren sie aber dabei. Gelegenheit für mich, kurz mit Frau Ketterling zu plaudern.
Da saß ich also am Brett mit diesen ganzen wachgerufenen Erinnerungen, die von dieser kleingedruckten Notiz auf dem Formular wachgerufen wurden. Und prompt schrieb ich die Züge nicht in die vorgesehene Spalten (zwei Halbzüge pro Spalte), sondern wählte einen Halbzug pro Spalte (ist ja nicht verboten und kam mir mit dem Platz entgegen, da ich gern meinen Umgang mit der Bedenkzeit notiere).
Mich selbst störte das nicht. Mein Gegner aber kam später in Zeitnot und bat um mein Formular, weil er gern die Züge vervollständigen wollte. Bei meinem unorthodoxen Notations-System war er in Zeitbedrängnis mit den differierenden Zugnummern natürlich gekniffen. Pardon, war keine Absicht.
Robert Schmidt - 17. März 2015
Die Buchhandlung in der Potsdamer Str. unweit des Kleistparks hieß „Ziegan“.
Dort gab es ein Riesenregal mit Schachbüchern, die damals gängigen Schachzeitschriften und einen Haufen des „Informators“, wenn die neue Ausgabe erschien.
Weitere Höhepunkte waren maschinegetippten Publikationen von Pfarrer Heinrich Früh (Club der Berlin-Schachfreunde) und die Regalreihe mit Gebrauchtbüchern.
Das Geschäft existiert noch heute als Buchhandlung aber ohne das Spezialgebiet Schach.
Bernhard Riess - 19. März 2015
Hallo Robert,
genauso war es!
Einige der „Berliner Schach-Briefe“ von Heinrich Früh habe ich gescannt und als PDF Online gestellt. Hier sind die Links zum Download:
http://www.fvschach.de/dokument/bsb.htm
oder auch - ganz stilecht - mit der ‘richtigen’ Domain:
http://www.berlinschach.de/dokument/bsb.htm
F. O. - 19. März 2015
Phantastisch, Euch beiden herzlichen Dank für die Ergänzung!
Rolf Schmidt - 25. Februar 2015
Hallo Jürgen,
fragwürdige Argumente und falsche Behauptungen werden auch durch ständige Wiederholungen nicht richtiger. Nochmals (und letztmals) zum mitmeisseln:
Anlässlich der Feier des 60. Geburtstages von Rainer Dambach wurde beschlossen, eine Mannschaft aus alten Haudegen zu bilden und in der BMM an den Start gehen zu lassen. Damals u. a. dabei: Thomas Berg und Sigi Weber. Thomas ist in der Saison 12⁄13 in der dritten Klasse (!!) 6x für uns angetreten, in der Saison 13⁄14 in der zweiten klasse 4x. Die Behauptung, er habe mit der Mannschaft nichts zu tun, ist schlicht Unsinn! Dass er inzwischen durch seine Doppelbelastung als praktizierender Arzt und Betreiber eines Gutshofes mit Obstsaftproduktion leider kaum noch Zeit hat zu spielen, ist bedauerlich, ändert daran aber nichts!
Sigi hatte seinerzeit abgewinkt (‘keine Lust mehr auf Schach’), aber wer Sigi kennt....Er hat in der vergangenheit ca. ein Dutzend mal das Schachspielen an den Nagel gehängt und genauso oft dann wieder angefangen. Zu Beginn dieser Saison bekundete er auf Nachfrage, wieder Interesse zu haben (aber nur in unserer Mannschaft!). Leider muss auch er des öfteren Sonntags arbeiten und ist nicht regelmässig verfügbar.
Einzig Fernando gehört nicht zu dem eingangs erwähnten Kreis. Er wurde wegen der Personalprobleme in den ersten Runden mit ins Boot genommen. Dir ist vielleicht entgangen, dass er schon in der 2. Runde für uns angetreten ist.
Was habt ihr eigentlich erwartet? Der Tabellenerste gegen den zweiten, ein (möglicherweise) vorentscheidender Kampf um den Aufstieg! Dass wir abschenken und nicht mit der bestmöglichen Mannschaft antreten? Dass wäre, auch im Hinblick auf Friedrichstadt, die ja ebenfalls noch aufsteigen können, schon eher ‘Wettbewerbsverzerrung’ gewesen! Wir versuchen immer, die bestmögliche Mannschaft zu stellen. Und gegen euch hatten wir einfach das Glück, dass Thomas, Sigi und Fernando tatsächlich Zeit hatten und spielen konnten. Alle drei hätten wir liebend gern öfter eingesetzt. That’s it.
Lass also mal gut sein....ansonsten kommt noch der Verdacht auf, dass Du ein schlechter Verlierer bist.
Schönen Gruss
Rolf Schmidt
juergen brustkern - 24. Februar 2015
Lieber Fernando, Du bist nicht nur ein guter Photograf,sondern kannst auch so schöne stimmungsvolle Bericht wie oben verfassen(der „Tod der Tradition“ im Schach wird viel zu wenig thematisiert,s.a. Hastings etc.)Solche Berichte fehlen leider nicht nur auf der Tempelhofer Seite In bezug auf den genannten Mannschaftskampf(SKT-SFB V) kann ich Deine -und die von Siggi und Thomas Berg-Motivation jedoch nicht verstehen!Ihr habt nach meiner Meinung im Grunde nichts mit dem 5.Team zu tuen, und habt Euch trotzdem zu so eine fragwürde „undercover“ Aktion hineisen lassen...
Beste Grüsse
Jürgen
Frank Hoppe - 17. Februar 2015
Ich hatte vor ein paar Wochen auch so ein Formular neben mir zu liegen. Als ich des Fehlers gewahr wurde - wahrscheinlich als ich am Ende der Spalte angekommen war - nahm ich mir ein leeres Formular und schrieb nochmal richtig ab, während mein Gegner weiter nachdachte.
Früher ist mir sowas nicht passiert. Jetzt bin ich aber über 50 und so langsam setzt die Senilität ein. Da vergesse ich schon mal Züge (was mir zum Glück kurz danach immer auffällt) oder schreibe Unsinn ins Formular.