Wenn nach zwei Stunden Schluss gewesen wäre...
Nach zwei Stunden Spielzeit waren die hoch favorisierten St. Petersburger um den frischgebackenen World Cup Sieger und amtierenden Russischen Meister Peter Svidler ganz schön am schwitzen. Trotz Elo-Vorteilen zwischen 250-400 Punkten an jedem Brett hatten sie nirgends einen (klaren) Vorteil herausspielen können. Im Gegenteil! Das Figurenopfer für drei Bauern bei vollem Brett von Movsesian gegen Joachim Wintzer sah doch sehr optimistisch aus. Und auch an Brett 5 bei Robert Glantz geriet der russische GM doch arg unter Druck. Als Bestätigung dieser Aussagen mag gelten, dass beide Großmeister den Schachfreunden in diesem Partien remis angeboten haben!
Aber der (Brett)Reihe(nfolge) nach:
Arnd Lauber hatte es am ersten Brett mit Peter Svidler zu tun, der seinen ersten Auftritt beim diesjährigen ECC hinlegte. Beim Frühstück witzelten wir noch, dass wir für Arnd am abend „Weltcupsiegerbesieger“-T-Shirts drucken lassen würden. Aber am Ende konnte sich der bessere Spieler in seinem geliebten Grünfeld-Inder doch durchsetzten. Allerdings verlor Arnd erst ab dem 30. Zug den Faden, die bis dahin für Schwarz wohl etwas angenehmer zu spielen, aber bei weitem noch nicht entschieden war. Die weiße Aktivität beginnend mit 26.Db3 war verfehlt. Er hätte einfach abwarten sollen und warten, was Schwarz macht.
Bei Rainer Polzin kam an Brett zwei gegen GM Nikita Vitiugov die erwartete Sämisch-Variante im Königsinder aufs Brett. Wenn man die Partie oberflächlich nachspielt hat man den Eindruck, als ob Rainer in einer Maroczy-Struktur langsam zusammengeschoben wurde. Dem war aber nicht so! Mit 11.... Dh4+ (mit der Idee 12.Lf2 Dg5 13.0-0?? Lh3) oder aber später mit 20.... De3 (statt b5) hätte er gutes Gegenspiel erlangen können. Bei b5 hatte er den Konter f5 nebst den Problemen in der e-Linie nicht gesehen, die nach gxf5 entstehen würden. Danach war es ein Spiel auf ein tor.
Die längste Partie des Tages lieferten sich Joachim Wintzer und der ehemalige Schachfreund GM Sergei Movsesian (er spielte von 1995 bis 2004 für die Berliner). In einer Englischen Eröffnung war nicht viel passiert (der übliche leichte weiße Raumvorteil), als Mov „auf Chance“ eine Figur für drei Bauern opferte. Während der Partie waren wir alle der Meinung, dass in der Stellung die weiße Figur mehr Wert sein müsse. Der Computer bevorzugt auch Joachims Chancen. Bis zum 39. Zug änderte sich an dieser Einstellung nichts, als der GM mit Tg2 aktiv wurde und Joachim eine große Möglichkeit einräumte.
Der Konter Sf4 (statt des passiven Sf2) nebst dem Durchbruch c6 oder sogar sofort c6 hätte die weißen Figuren maximal aktiviert und das schwarze Freibauernpaar am Damenflügel halbiert. Das hätte hervorragende Gewinnchancen ergeben. Danach war bei Schwarz wieder alles halbwegs in Ordnung. Auf der Suche nach einem Gewinn geriet Joachim aber in Zeitnot und als die schwarzen Damenflügelbauern immer weiter vorrückten und Weiß ein Dauerschachmotiv nicht erkannte, war es um ihn geschehen.
Eine hochspannende Partie lieferten sich auch Jan Lundin und der kreative GM Vadim Zvjaginsev (bekannt durch seine Erfindung 1.e4 c5 2.Sa3!!!, mit der er einst GM Alexander Khalifman schlug). Gegen Jan wählte er aber einen eher herkömmlichen Sizilianer (naja, fast). Die Damen wurden früh getauscht und ein positionelles Gefecht begann, in dem Schwarz nicht schlechter Stand. Mit 21... Lc8 kam er aber vom rechten Weg ab. Le8 wäre besser gewesen, um dann nach Td6 mit Lf7 Druck auf die weißen Springer auf der Diagonale a2-g8 auszuüben. So konnte ein Weißer Turm auf die 7. Reihe eindringen, wonach Schwarz unter deutlichen Druck stand. Ein paar weitere Ungenauigkeiten hin zur Zeitkontrolle ließen die Stellung dann zusammenbrechen.
Wenn man es nicht besser wüsste könnte man meinen, dass die Russen an Brett 5 Weiß gehabt hätten. Denn dem Partieverlauf nach wurde Schwarz in einer spanischen Partie locker an die Wand gespielt. Aber es war der russische GM mit ELO 2642, dem unter Druck die Ungenauigkeiten unterliefen, so dass Robert Glantz im 24. Zug mit Le4 (mit Angriff auf den Sd5) klaren bis entscheidenden Vorteil hätte erreichen können. Ein Mehrbauer bei deutlich besserer Stellung sollte ausreichen. Robert attakierte den Springer aber mit Lb3, was Schwarz die Gelegenheit zu einer Entlastungskombination gab.
Robert kam leider in seine übliche Zeitnot. Und als er eine Scheinopfer-Kombination anbrachte, hatte diese ein kleines Loch. Das war zwar nicht auf dem Brett entscheidend, hatte aber natürlich psychologische Auswirkungen, die zusammen mit der runtertickenden Uhr den Niedergang bedeuteten.
Brett 6 war ein Beispiel dafür, dass sich Vorbereitung nicht lohnt. Der Gegner von Christoph Nogly war in der Datenbank nur mit katalanischen Partien oder Damenindern vertreten (und davon jeweils eine ganze Menge). Den einen Nimzo-Inder mit Dc2 von vor drei Jahren kann man ja mal außer acht lassen. Preisfrage: Was kam aufs Brett?
Überrascht reagierte Christoph mit einer Überraschung. Er hatte neulich einen kleinen Artikel über eine Nebenvariante gelesen, die der britische GM Raymond Keene in den 70er Jahren erfunden hatte: 6.... De8! Sieht so komisch aus, das auch Peter Svidler bei einem seiner ersten Rundgänge kurz stutzen musste. Die Idee: Verhindert die Fesselung Lg5 und unterstützt den Vorstoß e5. Je nach weißem Aufbau kann man auch mal and Se4 nebst f5 und Dh5 a la Holländisch überlegen.
GM Maxim Matlakov wählte den prinzipiellen Aufbau mit f3 und e4, dem Schwarz ebeso prinzipiell d6 und e5 entgegensetzte. Nachdem beide Seiten ein paar Abwartezüge ausgeführt hatten, wurde es Zeit mit f5 Gegenspiel einzuleiten. In der daraus resultierenden komplizierten Position sollte Schwarz genug Spiel haben. Auch der Computer sagt stur „0.00“. Mit Te5 begannen aber die Ungenauigkeiten. Df7 (ruhig) oder sogar Se5 (scharf) mit Spiel gegen den deplatzierten weißen Turm auf e4 waren besser. Danach hatte Weiß mit seinem Läuferpaar die angenehmere Stellung.
Als verfehlt erwies sich dann die schwarze Idee, mit b5 den weißen Bauern auf c4 zu schwächen und ein Angriffsziel für Schwarz zu schaffen. In der entstehenden Stellung wurde das Läuferpaar immer stärker. Dann kam noch ein Verrechner hinzu. Lxg7 hatte Christoph noch gesehen, aber nur mit der Antwort Td1 gerechnet. Statt Tc1 von Weiß wäre Te1 noch stärker gewesen, aber das war in der Stellung inzwischen schon egal. Der Materialnachteil bei offener Königsstellung war entscheidend.
Heute geht es gegen die Weißrussen Vesnianka Gran mit fünf Großmeistern und und ein Internationaler Meister, gegen die die Schachfreunde bereits beim ECC 2001 auf Kreta gespielt haben. Damals gab es eine 2,5-3,5 Niederlage.
Die Partien kann man gut auf Whychess.org nachspielen bzw. live verfolgen.
Ein schlechtes Omen: Vor der Runde standen die Könige schon zum 0-6 auf dem Brett!
GM Dr. Robert Hübner gegen seinen ehemaligen Verein mit Bundesliga-Präsident IM Markus Schäfer
Autor: ny -- 28.9.2011 11:10:19