Wenn nach zwei Stunden Schluss gewesen wäre...

von am 28. September 2011 in ECC 2011, Europapokal

Wenn nach zwei Stunden Schluss gewesen wäre...

Nach zwei Stunden Spielzeit waren die hoch favori­sierten St. Peters­burger um den frisch­ge­ba­ckenen World Cup Sieger und amtie­renden Russi­schen Meister Peter Svidler ganz schön am schwitzen. Trotz Elo-Vorteilen zwischen 250-400 Punkten an jedem Brett hatten sie nirgends einen (klaren) Vorteil heraus­spielen können. Im Gegenteil! Das Figuren­opfer für drei Bauern bei vollem Brett von Movsesian gegen Joachim Wintzer sah doch sehr optimis­tisch aus. Und auch an Brett 5 bei Robert Glantz geriet der russische GM doch arg unter Druck. Als Bestä­tigung dieser Aussagen mag gelten, dass beide Großmeister den Schach­freunden in diesem Partien remis angeboten haben!

Aber der (Brett)Reihe(nfolge) nach:

Schachfreunde St. Peterburg Arnd Lauber hatte es am ersten Brett mit Peter Svidler zu tun, der seinen ersten Auftritt beim diesjäh­rigen ECC hinlegte. Beim Frühstück witzelten wir noch, dass wir für Arnd am abend „Weltcupsiegerbesieger“-T-Shirts drucken lassen würden. Aber am Ende konnte sich der bessere Spieler in seinem geliebten Grünfeld-Inder doch durch­setzten. Aller­dings verlor Arnd erst ab dem 30. Zug den Faden, die bis dahin für Schwarz wohl etwas angenehmer zu spielen, aber bei weitem noch nicht entschieden war. Die weiße Aktivität beginnend mit 26.Db3 war verfehlt. Er hätte einfach abwarten sollen und warten, was Schwarz macht.

Bei Rainer Polzin kam an Brett zwei gegen GM Nikita Vitiugov die erwartete Sämisch-Variante im Königs­inder aufs Brett. Wenn man die Partie oberflächlich nachspielt hat man den Eindruck, als ob Rainer in einer Maroczy-Struktur langsam zusam­men­ge­schoben wurde. Dem war aber nicht so! Mit 11.... Dh4+ (mit der Idee 12.Lf2 Dg5 13.0-0?? Lh3) oder aber später mit 20.... De3 (statt b5) hätte er gutes Gegen­spiel erlangen können. Bei b5 hatte er den Konter f5 nebst den Problemen in der e-Linie nicht gesehen, die nach gxf5 entstehen würden. Danach war es ein Spiel auf ein tor.

Die längste Partie des Tages lieferten sich Joachim Wintzer und der ehemalige Schach­freund GM Sergei Movsesian (er spielte von 1995 bis 2004 für die Berliner). In einer Engli­schen Eröffnung war nicht viel passiert (der übliche leichte weiße Raumvorteil), als Mov „auf Chance“ eine Figur für drei Bauern opferte. Während der Partie waren wir alle der Meinung, dass in der Stellung die weiße Figur mehr Wert sein müsse. Der Computer bevorzugt auch Joachims Chancen. Bis zum 39. Zug änderte sich an dieser Einstellung nichts, als der GM mit Tg2 aktiv wurde und Joachim eine große Möglichkeit einräumte.

Der Konter Sf4 (statt des passiven Sf2) nebst dem Durch­bruch c6 oder sogar sofort c6 hätte die weißen Figuren maximal aktiviert und das schwarze Freibau­ernpaar am Damen­flügel halbiert. Das hätte hervor­ra­gende Gewinn­chancen ergeben. Danach war bei Schwarz wieder alles halbwegs in Ordnung. Auf der Suche nach einem Gewinn geriet Joachim aber in Zeitnot und als die schwarzen Damen­flü­gel­bauern immer weiter vorrückten und Weiß ein Dauer­schach­motiv nicht erkannte, war es um ihn geschehen.

Eine hochspan­nende Partie lieferten sich auch Jan Lundin und der kreative GM Vadim Zvjag­insev (bekannt durch seine Erfindung 1.e4 c5 2.Sa3!!!, mit der er einst GM Alexander Khalifman schlug). Gegen Jan wählte er aber einen eher herkömm­lichen Sizilianer (naja, fast). Die Damen wurden früh getauscht und ein positio­nelles Gefecht begann, in dem Schwarz nicht schlechter Stand. Mit 21... Lc8 kam er aber vom rechten Weg ab. Le8 wäre besser gewesen, um dann nach Td6 mit Lf7 Druck auf die weißen Springer auf der Diagonale a2-g8 auszuüben. So konnte ein Weißer Turm auf die 7. Reihe eindringen, wonach Schwarz unter deutlichen Druck stand. Ein paar weitere Ungenau­ig­keiten hin zur Zeitkon­trolle ließen die Stellung dann zusam­men­brechen.

Wenn man es nicht besser wüsste könnte man meinen, dass die Russen an Brett 5 Weiß gehabt hätten. Denn dem Partie­verlauf nach wurde Schwarz in einer spani­schen Partie locker an die Wand gespielt. Aber es war der russische GM mit ELO 2642, dem unter Druck die Ungenau­ig­keiten unter­liefen, so dass Robert Glantz im 24. Zug mit Le4 (mit Angriff auf den Sd5) klaren bis entschei­denden Vorteil hätte erreichen können. Ein Mehrbauer bei deutlich besserer Stellung sollte ausreichen. Robert attakierte den Springer aber mit Lb3, was Schwarz die Gelegenheit zu einer Entlas­tungs­kom­bi­nation gab.

Robert kam leider in seine übliche Zeitnot. Und als er eine Schein­opfer-Kombi­nation anbrachte, hatte diese ein kleines Loch. Das war zwar nicht auf dem Brett entscheidend, hatte aber natürlich psycho­lo­gische Auswir­kungen, die zusammen mit der runter­ti­ckenden Uhr den Niedergang bedeu­teten.

Brett 6 war ein Beispiel dafür, dass sich Vorbe­reitung nicht lohnt. Der Gegner von Christoph Nogly war in der Datenbank nur mit katala­ni­schen Partien oder Damen­indern vertreten (und davon jeweils eine ganze Menge). Den einen Nimzo-Inder mit Dc2 von vor drei Jahren kann man ja mal außer acht lassen. Preis­frage: Was kam aufs Brett?

Überrascht reagierte Christoph mit einer Überra­schung. Er hatte neulich einen kleinen Artikel über eine Neben­va­riante gelesen, die der britische GM Raymond Keene in den 70er Jahren erfunden hatte: 6.... De8! Sieht so komisch aus, das auch Peter Svidler bei einem seiner ersten Rundgänge kurz stutzen musste. Die Idee: Verhindert die Fesselung Lg5 und unter­stützt den Vorstoß e5. Je nach weißem Aufbau kann man auch mal and Se4 nebst f5 und Dh5 a la Hollän­disch überlegen.

GM Maxim Matlakov wählte den prinzi­pi­ellen Aufbau mit f3 und e4, dem Schwarz ebeso prinzi­piell d6 und e5 entge­gen­setzte. Nachdem beide Seiten ein paar Abwar­tezüge ausge­führt hatten, wurde es Zeit mit f5 Gegen­spiel einzu­leiten. In der daraus resul­tie­renden kompli­zierten Position sollte Schwarz genug Spiel haben. Auch der Computer sagt stur „0.00“. Mit Te5 begannen aber die Ungenau­ig­keiten. Df7 (ruhig) oder sogar Se5 (scharf) mit Spiel gegen den deplat­zierten weißen Turm auf e4 waren besser. Danach hatte Weiß mit seinem Läuferpaar die angenehmere Stellung.

Als verfehlt erwies sich dann die schwarze Idee, mit b5 den weißen Bauern auf c4 zu schwächen und ein Angriffsziel für Schwarz zu schaffen. In der entste­henden Stellung wurde das Läuferpaar immer stärker. Dann kam noch ein Verrechner hinzu. Lxg7 hatte Christoph noch gesehen, aber nur mit der Antwort Td1 gerechnet. Statt Tc1 von Weiß wäre Te1 noch stärker gewesen, aber das war in der Stellung inzwi­schen schon egal. Der Materi­al­nachteil bei offener Königs­stellung war entscheidend.

Heute geht es gegen die Weißrussen Vesnianka Gran mit fünf Großmeistern und und ein Inter­na­tio­naler Meister, gegen die die Schach­freunde bereits beim ECC 2001 auf Kreta gespielt haben. Damals gab es eine 2,5-3,5 Niederlage.

Die Partien kann man gut auf Whychess.org nachspielen bzw. live verfolgen.

St. Petersburg vor der Runde Ein schlechtes Omen: Vor der Runde standen die Könige schon zum 0-6 auf dem Brett!

Schäfer + Hübner
GM Dr. Robert Hübner gegen seinen ehema­ligen Verein mit Bundesliga-Präsident IM Markus Schäfer

Autor: ny -- 28.9.2011 11:10:19

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