Abschied von Andreas und den 5 Ziegen

von am 18. Januar 2012 in Planet Schach

Abschied von Andreas und den 5 Ziegen

– …während ich früher selbst nach langen Abenden Schwie­rig­keiten hatte, mich auf dem Heimweg an lustigen Kneipen vorbei­zu­schmuggeln, als tausende Sonnen erst vormittags unter­gingen und der Kiez eine lang anhal­tende Party, eine echte Attraktion war. –

Andreas Thies, Berliner Zeitung, 29. März 2011

 

Andreas hat sich gefreut, wenn Schach­spieler in seiner Kneipe waren. Er hatte zwei Bretter, schöne Figuren aus Buchsbaum und ein paar Uhren, die immer wieder mal repariert wurden. Zwischen Tresen und Kneipenraum gab es einen Zwischen­t­resen, auf dem wir Schach spielten, und wenn keine oder wenig Gäste da waren, konnte es sein, dass er in einem Schachbuch blätterte. Im Sommer war er noch auf meiner Hochzeit, jetzt ist er nach kurzer, schwerer Krankheit mit Anfang Fünfzig gestorben.

Unser Platz war vor allem am Tresen oder am langen Tisch davor, und wenn es spät wurde, und es wurde häufig spät, konnten wir uns auch die Musik aussuchen und saßen so da, einige rauchten, hörten Musik, und wenn wir Schach spielten, brauchten wir nur einen Tisch weiter zu gehen, und Frauen gab es auch.

Von Thomas Hämmerlein hörte ich vor etwas mehr als zehn Jahren, unmit­telbar gegenüber meiner alten Wohnung in der Lychener Straße am Helmholtz­platz in Prenz­lauer Berg werde Schach gespielt, und so kam das. Später holte ich Simon und Jan dazu, Steve auch und Sebastian, obwohl er in Kreuzberg wohnt, doch auch er kam gern vorbei und wir tranken was und spielten oder analy­sierten und hörten Musik. Zuletzt hatte ich dort zufällig Johannes getroffen und wir palaverten dort die ganze Nacht über Rainald Goetz und die Fotografie – nur nicht über Schach. Ein Schach­spieler aus Holland wurde zum Stammgast, Michael, der früher für Rotation in der Oberliga spielte (kurz nach Mauerfall lernte ich ihn in der Schön­hauser kennen), kam regel­mäßig vorbei und auch die ZIB-Bande gab es schon vorher als Stamm­gäste der 5 Ziegen, bevor sie sich in einer Schach­mann­schaft wiederfand.

Union war sein Ding, da geriet er ins Schwärmen, doch das Spiel in den 5 Ziegen hieß Skat. Einmal hatten Jan und ich in den Ziegen eines unserer Blitz­matches ausge­tragen auf zehn Punkte oder so, jeden­falls waren wir lange und konzen­triert bei der Sache, als sich welche neben uns setzten und fröhlich Skat spielten. Mit Rot und Grün und Schellen, wie es im Osten so üblich ist, und ich weiß noch, wie verbissen ich mir als Schach­spieler vorkam und wie herzlich und gutge­launt die Skattruppe war mit ihrer lustigen Reizerei. Das wollte ich auch, also lernte ich es mit einem Theoriebuch.

Andreas Thies im Sommer 2011, Foto: Johannes Winkler

Als Schach­spieler war mir das geläufig, für Andreas und seine Leute war dies jedoch ein Unding. Skat lernte man von anderen. Später aller­dings verfiel auch er den Theorie­bü­chern – insbe­sondere Nimzowitschs Werke hatte es ihm angetan. Er stieg ein in die zweite Mannschaft von ZIB und war später auch in der ersten beschäftigt. Einmal sagte er, er träfe bald auf einen Spieler, der 1600 habe, auf jeden Fall viel mehr als er. „Ach, der hat doch auch nur 1600“, meinte ich nur, und das sah er ein und überspielte ihn einfach.

Ohne Andreas fehlt ein Licht in der Welt – sein großes Herz, sein Humor und seine Weltof­fenheit boten eine sehr gute Gesell­schaft. Vielleicht war er sogar der einzige Wirt mit einer eigenen Feuil­leton-Kolumne in einer Tages­zeitung. Mit ihm durch die Nacht zu plaudern oder im Sommer auf den Sonnen­aufgang zu warten – manchmal gingen wir nach Kneipen­schluss noch ins Schliemann oder ins Wohnzimmer am Helmholtz­platz und trafen dort Tusche, Micha aus dem Torpe­do­käfer oder Hannes.

Gespräche über Goethes Wilhelm Meister, Anregungen über litera­rische Erzähl­per­spek­tiven, Reise­be­richte aus Guatemala oder Maine, Diskus­sionen über Beethoven, das Leben war vielfältig.

Die Kneipe wollte er schließen, er hatte gehei­ratet, sich ein Haus in der Uckermark gekauft, die Literatur für sich entdeckt und eigentlich sollte etwas ganz Neues beginnen. So ist es nicht gekommen.

In den 5 Ziegen gab’s Bier aus Flaschen, zwei Sorten Wein, ein paar Säfte, Whisky, Wodka, Tee und Kaffee, also Kaffee­pulver mit heißem Wasser drauf. Manchmal konnte ich mich nicht entscheiden, und dann fragte ich ihn, es war ganz ernst gemeint, was ich denn jetzt trinke?

Zuletzt fragte ich Andreas auf meiner Hochzeit im „Joseph Roth“ in der Potsdamer gegenüber vom Winter­garten: Es war schon weit nach Mitter­nacht, meine Frau unter­hielt sich angeregt an einem langen Tisch, alle Gäste hatten zu tun, sie tanzten und unter­hielten sich oder waren kurz draußen um zu rauchen. Nur Andreas stand kurz am Tresen und schaute mich an und sagte leise, wie er sich freut. Ich nickte kurz und fragte ihn, was ich denn trinken soll. „Campari Orange.“ Und so kam es dann auch. Das klappte immer. Das Glas brachte ich Veronika und holte mir auch noch eines.

Manchen kam er knorrig vor, mir auch zu Beginn, doch meine Frau hatte er gleich ins Herz geschlossen, obwohl sie mich aus Prenz­lauer Berg entführte – und sie mochte ihn gleich von Anfang an. Hier am Rathaus Schöneberg habe ich keine Kneipe mehr, und Andreas haben wir auch verloren.

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13 KommentareKommentieren

  • Chris Kirtley - 21. Mai 2019 Antworten

    I met Andreas in 1989, intro­duced by Heike Salaba. I am a Brit living in Australia. Tonight I took my wife to the Thuringer Stube on Stargarder Str. I suddenly remem­bered Andreas and found this page. We had great fun just before and after the Mauer fell. His first trip to the West was with me to Scotland and Northern a Ireland - for some crazy reason, visiting Belfast was his dream! Heike, if you read this, please get in touch.

  • Carsten Müller - 11. Februar 2017 Antworten

    Ich kann es nicht fassen. Auf der Suche nach ehema­ligen Kameraden aus langer vergan­gener gemein­samer Zeit in Berlin, bin ich auf die Totes­an­zeige des Schach­clubs gestoßen. Es tut mir leid das ich mit Andreas keinen Kontakt mehr aufnehmen konnte. Mach’s gut Andreas.

  • F. O. - 17. März 2012 Antworten

    Auch der Tages­spiegel hat einen Nachruf veröf­fent­licht:

    (→ Lesen)

  • F. O. - 27. Januar 2012 Antworten

    In der Berliner Zeitung ist ein schöner Nachruf erschienen (→ Lesen)

  • Arne - 24. Januar 2012 Antworten

    Durch Dich verliert die Welt einen kernig guten Menschen und Berlin ein weiteres Stück Prenz­lauer Berg. Mach’s gut Andreas.

  • Andre - 23. Januar 2012 Antworten

    Einer meiner engsten Schul­freunde ist einfach so abgehauen......
    Auch wenn wir uns in den letzten Jahren eher selten gesehen und gesprochen haben,bin ich zutiefst betroffen.
    Sein letztes Geschenk án mich ‚war seine geliebte UNION Tasse beim letzten Ziegen Besuch. Die wird jetzt bei mir einen beson­deren Platz bekommen.
    Seine Artikel in der Berliner Zeitung habe ich erst kürzlich wahrge­nommen.
    Ich glaubte ihn zu kennen. Aber er war wohl innnerlich doch viel nachdenk­licher ......
    Letztlich ist der von ihm lange geplante Schritt ins künftige normalo Leben wohl zu spät gekommen.
    Die Einsicht ‚das der mensch­liche Körper auch irgendwann einen inten­siven Lebensstil quittiert ‚war,wie man in der Berliner Zeitung lesen konnte schon da ‚aber die Weichen sind schon viel früher auf Vollgas in das Nirvana gestellt worden.
    Aber Andreas hat sich in den letzten Jahren als Typ weiter entwi­ckelt:
    noch feinfüh­liger und nachdenk­licher nach innen, aber eben auch nach wie vor lebens­lustig , humorvoll und voller Energie.
    Schade ‚das die von ihm lange genüsslich zelebrierten “ Tod Sünden“ offen­sichtlich mit geholfen haben ‚das es ihm nicht mehr vergönnt war, seinem Leben gerade jetzt mit Alex an der Seite, einen neuen Sinn zu geben.
    Es ist einzig tröstlich ‚das ihm ein “ dahin vegetieren“ als Pflegefall erspart geblieben ist.
    Seiner Familie und seiner Frau Alex spreche ich mein tiefes Mitgefühl aus .
    Seine letzte Ruhe findet er ‚soweit ich weiß, in seiner alten Heimat in Suhl ‚nur wenige Meter von meinem Wohnhaus entfernt.
    Insofern bleibt mir Andreas immer nah...und unver­gessen!
    Zumindest solange ‚bis wir selbst den unumgäng­lichen Weg gehen .
    Er ist ihn halt nur vie zu früh voraus gegangen....

    AK

  • nima - 21. Januar 2012 Antworten

    Mich hat die Nachricht von unserem Mannschafts­freund Uwe aus heiterem Himmel getroffen. Mach es gut lieber Andreas. Mein herzlichstes Beileid an alle Angehö­rigen.

  • Marco - 19. Januar 2012 Antworten

    Es hat mich heute sehr schwer getroffen, meinen Mannschafts­kol­legen Andreas zu verlieren. Ich werde Dich sehr vermissen. In solchen Momenten schaut man sich um, hinter­fragt seine Priori­täten und erkennt, dass die Zeit mit anderen ein hohes Gut ist.

  • Zischfisch - 19. Januar 2012 Antworten

    Es tut weh!
    Jeder, der ihn kannte wird das so empfinden.
    Unser aufrich­tiges Beileid an die Familie, die Fange­meinde von Union und der Ziegen.

    Heike und Martin

  • Marc - 19. Januar 2012 Antworten

    Ein schöner Nachruf für einen tollen Menschen. Wir hatten einst einen tollen Fussball­vor­abend und eine ebenso tolle Nachbe­trachtung als wir aus Braun­schweig im 5Ziegen zusamnmensassen und feierten und auch das ein oder andere Mal kreuzten sich in Braun­schweig im Block unsere Wege, wenn es gegen Union ging und Milan auswärts war. Schon zum letzten Spiel in Braun­schweig hatte ich mich auf ein Wieder­sehen gefreut, aber leider machte ihm da kurz vorher die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung. Wir alle hatten gehofft, ihn nun beim Rückspiel „Zuhause“ bei wieder besserer Gesundheit treffen zu können, aber leider hat es das Schicksal nicht gewollt. Mein Beileid an alle Freunde und Angehö­rigen, auch von den Jägi-Jungs aus Braun­schweig.

  • Klesche - 19. Januar 2012 Antworten

    Milan, mach’s gut!
    Herzliches, tiefl empfundes Beileid von den Web-Löwen aus Braun­schweig an seine Freunde, seine Familie und seine Unioner.

  • Lars - 18. Januar 2012 Antworten

    Ein sehr schöner Nachruf, für einen sehr inter­es­santen Mann.

    Mir wird er auch fehlen!

    Mach´s gut, Andreas,
    bis irgendwann.

  • Jan Wendt - 18. Januar 2012 Antworten

     Das ist nur traurig. Es gibt nicht viele, die einem Ort ein Gesicht geben können, noch dazu ein leise lachendes. Andreas gab einem das Gefühl, dass die Schach­spie­lerei in die Kneipe gehört und dass das ein Kompliment ist. Man kann sich keinen angeneh­meren Zuschauer beim Blitzen vorstellen, so ein aufrichtig unauf­dring­liches Interesse. Ich finde nicht die richtigen Worte, wir waren auch keine engen Freunde, aber die Abwesenheit dieses so gut erzäh­lenden, angenehm Beiläu­figen schneidet grade tiefer ein als ich erwartet hätte. Danke für den Nachruf, Fernando, der ist gut und bitter.

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